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TOP oder FLOP?

Internethandel, Teil 1
TOP oder FLOP?

Nichts ist einfacher, als online einzukaufen. Doch woher kommt der Trend zum digitalen Einkauf? Was macht das Shoppen am PC so beliebt und warum? Ein Klick aufs Produkt, ein weiterer Klick bis in den Warenkorb, und schon wird bezahlt – bequem und sicher mit einem Bezahlsystem, wie zum Beispiel PayPal. Das Produkt wird bis zur Haustür gebracht, und wenn es nicht gefällt wieder zurückgeschickt oder sogar abgeholt, natürlich kostenfrei.

Sorgen, ob das Unternehmen seriös ist? Kein Problem. Man schaut in die Kundenbewertungen und/oder fragt auf Facebook nach. Fazit: Einfach und bequem aus dem Sessel einkaufen, ohne Tüten schleppen zu müssen oder gar in einer Schlange anzustehen – und dies 24 Stunden am Tag!

Für den Kunden auch sehr wesentlich: Preissuchmaschinen ermitteln den preisgünstigsten Angebotspreis – und dies sogar in Echtzeit. Natürlich trägt dies auch zur Verwirrtheit des Kunden bei, da für dasselbe Produkt die unterschiedlichsten Preise ausgewiesen werden.
Aber reicht es wirklich aus, ein Produkt auf den Preis zu reduzieren, damit es für den Internethandel interessant ist?
Was ist mit erklärungsbedürftigen Produkten, wie zum Beispiel einer Brille? Wo bleibt die individuelle Beratung? Und kann man das Produkt im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“?
Was ist mit einer Präsentation oder der direkten Gegenüberstellung verschiedener Ausprägungen eines Produktes? Eine umfangreiche Differenzierung im Internet ist schwierig und aufwendig. Die Pflege und Abgrenzung verschiedener Marken auf der Homepage dabei zeit- und kostenintensiv. Die Folge ist eine Reduzierung der Angebotsvielfalt, also die Minimierung auf wenige Marken und natürlich den Preis!
Kommen wir nun aber speziell zur Augenoptik und dem Vertrieb von Korrektionsbrillen im Internet. Unser Ziel soll es sein, diese Thematik von unterschiedlichen Seiten betrachten und durchleuchten zu wollen.
Die Brille im Internethandel
Das schon länger vorhandene latente Unbehagen hinsichtlich des Internethandels mit Korrektionsbrillen bei der Mehrzahl der Augenoptiker bekam durch die Einreichung einer Petition beim Deutschen Bundestag ein Gesicht.
Der brisante Inhalt: Man möge den Verkauf von Brillen im Internet verbieten! Diese Petition erhitzte die Gemüter der Befürworter und der Gegner in einem nicht erwarteten Ausmaß. Die Moderatoren, die von Seiten der Diskussionsplattform des Deutschen Bundestages die „Meinungsträger“ auf Sachlichkeit und Themenbezug zu prüfen hatten, mussten mehrfach einschreiten und letztlich die Diskussion – nicht die Petition – frühzeitig beenden. Die Gefechte, nur so kann man die Auseinandersetzungen bezeichnen, wurden dann in anderen Foren weitergeführt – über das Niveau darf man sicherlich geteilter Meinung sein. Das aber nur am Rande. Hilfreich wäre es sicherlich gewesen, wenn die Teilnehmer ihren wahren Namen hätten angeben müssen und nicht Pseudonyme hätten verwendet werden können. Man muss an dieser Stelle aber auch feststellen, dass einige Diskutanten mit offenem Visier diskutiert haben und zu ihrer Meinung mit dem eigenen Namen gestanden haben – leider nicht alle.
Man könnte es dabei bewenden lassen und sich genüsslich zurücklehnen und schauen, welche Seite letztlich „gewinnt“.
Doch was hat es wirklich mit dem Internethandel im Bereich der Augenoptik auf sich? Handelt es sich um eine neue Form der Goldgräberstimmung oder doch eher um einen riesigen Flop?
Diese Frage ist aber leider nicht kurz und einfach mit einem Ja oder Nein zu beantworten. Die Betrachtungsweise dieser sehr komplexen Thematik muss zudem auf verschiedenen Ebenen erfolgen, wobei ein Anspruch auf Vollständigkeit der Betrachtung sicherlich nicht erhoben werden kann. Dazu sind auch zu viele „Fachbereiche“ betroffen. Nachfolgend werden entsprechend
  • rechtliche,
  • fachspezifische und
  • wirtschaftliche
Aspekte betrachtet
Rechtliche Rahmenbedingungen
Es stellt sich natürlich zunächst die grundlegende Frage, ob es überhaupt zulässig ist, den Verkauf von Korrektionsbrillen über den Internethandel durchzuführen? Komponenten der Betrachtung sind dabei sicherlich
  • das Handwerksrecht,
  • das Medizinprodukterecht (MPG),
  • das Sozialgesetzbuch (SGB),
  • die relevante DIN EN ISO- Normen und natürlich
  • die Arbeitsrichtlinien im Augenoptikerhandwerk.
Möglicherweise gibt es noch weitere Gesetze oder Normen, die eine Anwendung finden könnten, so dass die zuvor gemachte Auflistung nicht abschließend sein muss.
Einen ersten anschaulichen Überblick über die rechtliche Thematik kann man dem Beitrag: “Ist der Vertrieb von Korrektionsbrillen über das Internet zulässig?“ von Dr. Jan Wetzel, Düsseldorf, im GewArchiv 2012/5, Seite 188 bis 192, entnehmen. Zur Person Wetzel ist zu sagen, dass er beim Zentralverband für das Augenoptikerhandwerk in Düsseldorf als Abteilungsleiter für Recht arbeitet und aus seiner jahrelangen Tätigkeit sicherlich das Hintergrundwissen für diese Fragestellung besitzt.
Wetzel kommt abschließend zu folgendem Ergebnis:
„Der Vertrieb von Korrektionsbrillen über das Internet ist nicht per se unzulässig. Unzulässig ist jedoch, Korrektionsbrillen – und zwar unabhängig vom Vertriebsweg – in den Verkehr zu bringen, die aufgrund ihrer Herstellungsweise nicht den Anforderungen der DIN EN ISO 21987 entsprechen. Dies gilt nicht nur dann, wenn durch die Mangelhaftigkeit der Korrektionsbrille ein begründeter Verdacht von Gesundheitsgefahren besteht. Denn solchen Brillen fehlt – unabhängig von ihrer Wirkung auf das körperliche Wohlbefinden des Brillenträgers – die Eignung, die Fehlsichtigkeit des Brillenträgers zu korrigieren. Solange die Internethändler die Korrektionsbrillen nur auf einer „schmalen“ Datengrundlage fertigen, können diese nicht in wettbewerbsrechtlich konformer Weise vertrieben werden“, GewArch 2012/5, S.192.
Ein weiterer Mosaikstein ist sicherlich der Beitrag des Zentralverbandes für das Augenoptikerhandwerk (ZVA) auf seiner Homepage:
„Mit rechtskräftigem Urteil vom 30.10.2012 hat das Landgericht Kiel dem Brillen-Internethändler 4 Care GmbH (…) verboten, Korrektionsbrillen im Internet mit dem Hinweis „immer in erstklassiger Optiker-Qualität“ zu bewerben und anzubieten.“
Basis dieses Urteils war ein Gutachten von Prof. Dr. Hans-Jürgen Grein, Fachhochschule Lübeck, der festgestellt hat:
„… dass bei Korrektionsbrillen, die über verschiedene Internetportale bestellt werden, die Einhaltung der einschlägigen DIN-Normen und damit die Verträglichkeit für den Kunden nicht gewährleistet sein könne. „Kopfschmerzen“, Unwohlsein, Schwindel oder tränende Augen“ können Folgen der Benutzung von Brillen aus dem Internet sein. „Im Extremfall entstünden für den Brillenträger Doppelbilder“, so das Gericht unter Hinweis auf das Gerichtsgutachten.“ Die ausführlichere Begründung werden wir im nächsten Gliederungspunkt finden, der sich mit der technischen Umsetzbarkeit befasst.
Natürlich war dieses Urteil nicht der Abschluss und das endgültige Aus für den Kauf von Brillen im Internet – wer hätte dies auch zu hoffen gewagt. Es folgten gezwungenermaßen – wie weiteren Pressemitteilungen des ZVA zu entnehmen sind – Abmahnschreiben an Tchibo und dessen Kooperationspartner 4Care GmbH hinsichtlich des geplanten Verkaufs von Gleitsichtgläsern durch Tchibo. Tchibo lenkt in Teilen ein, die 4Care GmbH gab keine Erklärung ab. Von Seiten des ZVA wurde angekündigt, dass die gerichtlichen Auseinandersetzungen weiter gehen werden.
Wir wollen an dieser Stelle darauf verzichten, jeden weiteren „Schachzug“ hinsichtlich der gerichtlichen Auseinandersetzungen aufzuzeigen. Vielmehr lässt sich zusammenfassen:
Hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen ist also festzustellen, dass die ersten Prozesse angestoßen beziehungsweise durchgeführt wurden; dass das Ergebnis der Petition noch nicht vorliegt und somit noch Jahre bis zu einer abschließenden Bewertung vergehen werden. Die Gegner und Befürworter des Internethandels werden um jede Formulierung feilschen.
Aber die bisherige rechtliche Diskussion ist – so ist zu befürchten und hat die Geschichte gezeigt – erst die Spitze des Eisberges. Es werden sich sicherlich noch eine Vielzahl von Facetten finden lassen, die zu überprüfen sein werden, bzw. überprüft werden müssen. Das „Spiel von Hase und Igel“ scheint nicht weit hergeholt; es bleibt nur ein langer Atem, um letztlich verbindliche Regeln zu erreichen.
Kommen wir nun aber zum zweiten Themenbereich, der praktischen Durchführbarkeit und der damit untrennbar verbundenen Notwendigkeit, bestimmte Parameter zu ermitteln.
Praktische Durchführbarkeit
Dieser Betrachtungsbereich umfasst die umfangreiche technische Erhebung der für die Erstellung einer Korrektionsbrille notwendigen Daten von/durch den Kunden/Augenoptiker. Insbesondere wurde in der ausführlichen Diskussion der Petition 25014 auf die körperliche Anwesenheit des Kunden abgehoben. Hier wurden nachfolgende Punkte benannt, die von den Petitionsgegnern – zum Teil sehr vehement – in Abrede gestellt wurden. Aber als Anregung zur Diskussion und um die Komplexität der Materie deutlich zu machen, seien die Gründe hier genannt:
So sei die körperliche Anwesenheit des Kunden
  • 1. bei der Vermessung der Augen (Refraktion) zwingend erforderlich,
  • 2. bei der Auswahl der Brillenfassung, wegen anatomischer und optischer Gegebenheiten,
  • 3. bei der Brillenglasauswahl durch einen Berater,
  • 4. bei der Festlegung der Zentrierwerte der Sehhilfe
  • 5. bei der Abgabe der Sehhilfe, notwendig.
(Quelle: Schreiben von Nerlich, Bad Saulgau, vom 15. Juli 2012 an den Deutschen Bundestag/Nerlich hatte die Petition initiiert.)
Kommen wir nun noch einmal zum Gutachten von Prof. Grein und die Begründung der zuvor gemachten allgemeiner gehaltenen Schlüsse.
Prof. Grein stellt fest:
„Der Grund für solche Gesundheitsbeeinträchtigungen sei darin zu sehen, dass Internetbrillen im Vergleich zu den von einem stationären Augenoptiker gefertigten Korrektionsbrillen, nur auf einer viel schmaleren Datenbasis hergestellt werden. Während im Internet nur auf dem Brillenpass vermerkte Refraktionswerte (Sphäre, Zylinder, Achslage) und der Augenabstand (Pupillendistanz) berücksichtigt werden, misst der stationäre Augenoptiker auch die sonstigen anatomischen Besonderheiten in Bezug auf die Augenstellung. So werde bei den Internetbrillen insbesondere die meistens asymmetrische Anatomie der Augen, der Nase, der Ohren, der Schläfe und der Gesichtstopographie nicht berücksichtigt. Eine weitere Fehlerquelle liege bei im Internet bestellten Brillen darin, dass die Kunden per selbst angefertigter Schablone den Pupillenabstand selbst messen müssen, wenn dieser nicht auf dem Brillenpass vermerkt ist.“
Es bietet sich sicherlich an und ist letztlich auch zwingend notwendig, dass die noch strittigen Fragen von Fachleuten weiter untersucht werden, um abschließend fundierte Aussagen zu diesem Themenbereich machen zu können. Diese sollten dann von grundlegender Natur sein und – soweit dies möglich ist – emotionslos und ideologiefrei durchgeführt werden. Man kann aber sicherlich davon ausgehen, dass auch in Zukunft dieser Themenkomplex noch sehr kontrovers diskutiert werden wird.
Aber lassen Sie uns nun zu einem Aspekt kommen, der in der öffentlichen Diskussion oft etwas vernachlässigt wird, der aber möglicherweise einen wesentlichen Einfluss auf die Zukunft des Internethandels mit Korrektionsbrillen haben wird. Es handelt sich um die betriebswirtschaftliche Betrachtung.
Betriebswirtschaftliche Tragfähigkeit
Selten wird die wirtschaftliche Diskrepanz so deutlich beschrieben, wie in einem Artikel aus den Westfälischen Nachrichten vom 16. Februar 2013. Dort kann man lesen:
„Online-Modehändler Zalando verdoppelt seinen Umsatz, schreibt aber Verluste. Wie das Unternehmen gestern in Berlin mitteilte, wuchsen die Erlöse 2012 von 510 Mio. Euro auf 1,15 Mrd. Euro. Das Vorsteuerergebnis lag bei minus 90 Mio. Euro nach minus 60 Mio. Euro im Jahr zuvor. Wegen zum Teil extrem niedriger Stundenlöhne steht Zalando unter massiver Kritik der Gewerkschaften.
Weiteres Problem: Viele Zalando-Kunden schicken ihre Waren wieder zurück. „Die Retourenquote“ liegt bei zirka 50 Prozent, sagte der Geschäftsführer Rubin Ritter.“
Bei Zalando handelt es sich um einen Online-Versandhändler für Schuhe und Mode und er ist mittlerweile auch im europäischen Raum aktiv. Gegründet wurde Zalando – so kann man wikipedia.org entnehmen – im Jahre 2008.
Aktuell hat „Amazon“ einigen seiner Kunden das Kundenkonto gekündigt, da zu viele Warensendungen wieder zurückgeschickt wurden. Auch dies macht den Kostendruck deutlich, der durch den kostenlosen Rückversand entsteht. Man kann gespannt sein, wie diese Entwicklung der Markt aufnehmen wird.
Eine weitere Anmerkung am Rande. Wie man diversen veröffentlichten Zeitungsberichten entnehmen kann, erhalten Internetanbieter zum Teil sogar öffentliche Subventionen. Bemerkenswert, wie hier in das Marktgeschehen zu Lasten eines Marktteilnehmers, der mittelständischen Wirtschaft, diskriminierend von Seiten der Politik, eingegriffen wird. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass dies aus Steuereinnahmen erfolgt, die der Mittelstand erwirtschaftet, kann man nur noch verwundert seine Augen reiben.
Kommen wir nun aber wieder zur Ausgangsfrage zurück. Ein weiter Bereich der wirtschaftlichen Analyse umfasst die nicht unwesentliche Ebene der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Systems des Internethandels.
Was hilft es, wenn man rechtlich und fachlich auf der richtigen Seite sein sollte, aber wirtschaftlich kein Erfolg erzielt wird. Mit diesem Aspekt wollen wir uns anschließend näher beschäftigen. Zu unterscheiden ist zwischen den reinen Kapitalgesellschaften im eigentlichen Sinne, die von Finanzinvestoren gestützt werden, den mittelständischen Betrieben inklusive den Filialbetrieben mit angeschlossenem Internethandel und den Herstellern, die gleichfalls im Internet aktiv sind. Wir werden uns nachfolgend ausführlicher mit den Kapitalgesellschaften befassen, die auf den Markt drängen.
Datenlage
Fundierte und fachlich gesicherte Daten und Informationen über ein Unternehmen zu erhalten, ohne einen direkten Zugriff auf die Betriebszahlen zu haben, ist naturgemäß nur eingeschränkt möglich.
Es gibt Presseinformationen des Unternehmens, Veröffentlichungen anderer Presseorgane über das zu betrachtende Unternehmen und es gibt den Bundesanzeiger im Internet, dem unter anderem die Bilanzen und in einigen wenigen Fällen auch die Gewinn- und Verlustrechnung (G+V) entnommen werden können.
Hinsichtlich der zuerst genannten Informationsquelle, also der Veröffentlichungen des Unternehmens, sind bei der Interpretation nachfolgende Aspekte immer zu berücksichtigen. Wer schildert schon gerne seine betriebswirtschaftlichen oder allgemeinen unternehmerischen Probleme und weist nicht viel lieber auf seine Erfolge hin? Oder aber, die PR-Abteilung des Unternehmens findet kreative Formulierungen, oder lässt wesentliche Informationen einfach weg?
Noch einige Worte zum Unternehmensregister (Bundesanzeiger), das durch das Internet zugänglich gemacht wird. Man kann zwar die Bilanz einsehen, leider fehlt in den meisten Fällen jedoch die Gewinn- und Verlust-rechnung. Natürlich bleibt auch der direkte Einblick in die Unternehmen verwehrt, insbesondere die internen Zielsetzungen und auch die Verflechtungen mit möglichen anderen Unternehmen, sind für Außenstehende, unbekannt. Aber um überhaupt mögliche Entwicklungen aufzeigen zu können, nimmt man natürlich „den Spatz und schaut nicht sehnsüchtig auf die Taube auf dem Dach.“ Diese Zusammenhänge muss man bei der Interpretation der Daten mit berücksichtigten.
Bei Internethandel kommt zusätzlich das Problem, dass die Unternehmen teilweise erst wenige Jahre am Markt sind und die Veröffentlichungen – zum Beispiel im Bundesanzeiger – von der Anzahl her eher gering sind und damit keine zuverlässigen Trendaussagen zulassen. Doch lassen Sie uns zunächst einen Blick in die Historie tätigen, ob es möglicherweise vergleichbare Entwicklungen in der wirtschaftlichen Vergangenheit gibt.
Ein Blick zurück
„Am Ende eines Hypes wird stets das Vergessen eingeleitet“. Ein Zitat, dass sich leider keiner einzelnen Person zuordnen lässt.
Machen wir also eine Zeitreise zurück zum Beginn des neuen Jahrtausends. Das Handelssegment ‚Neuer Markt‘ ist auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Begonnen hat alles am 10. März 1997. Es handelt sich um Angebote für risikobewusste Anleger, doch kaum jemand nimmt diese Einschränkung ernst. Es geht mit den Börsenkursen nur in eine Richtung – nach oben. Der ‚Neue Markt‘ in der Form des ‚Nemax 50‘ strahlt Ideen, Träume, gute Nachrichten und vor allen Dingen schnellen Reichtum aus. Am 10. März 2000 wird das Allzeithoch mit 9.666 Punkten erreicht. Das Perpetuum Mobile der Geldvermehrung ist erfunden – so scheint es jedenfalls.
Doch dann platzen die Träume und Visionen und nur 2 ½ Jahre später, wir schreiben den Oktober 2002, liegt der Index bei 318 Punkten, also ein Rückgang von über 97 Prozent. Ende 2003 wird der ‚Nemax 50‘ sang und klanglos eingestellt. Fazit: Über 211 Mrd. Euro wurden verbrannt. Was war passiert? Nun, die Antwort lässt sich mit einem Begriff umschreiben:
Cash-Burn-Rate
Die Cash-Burn-Rate war – und ist es heute offensichtlich auch noch, eine wichtige Maßgröße der Dotcom-Wirtschaft, die die Geschwindigkeit beschreibt, in der die Startup-Unternehmen das Geld der Investoren durchbringen, meist bevor noch ein Cent verdient ist. Vor allem für Marketing wurde viel Geld ausgegeben und führte zum Platzen der gesamten Dotcom-Blase.
Kaum zehn Jahre später sind wieder junge und auch sich für jung haltende Unternehmer auf der Suche nach Kapital. Die Kapitalbeschaffung über Banken ist – wenn überhaupt – nur sehr schwer möglich, aber das ist sicherlich ein anderes, aber sehr interessantes Thema. Man braucht Wagniskapitalgeber, die das Risiko nicht scheuen und letztlich auf hohe Renditen, oder aber steuerlich relevante Abschreibungen hoffen. Da trifft es sich gut, dass plötzlich über B2B-Plattformen und Einkaufsportale im Internet gesprochen wird. Wiederholt sich die Geschichte nach Kredit- und Derivatblase oder der Immobilienblase?
Bemerkenswert ist, dass man zurzeit davon ausgeht, dass die so genannten Startups in 9 von 10 Fällen floppen. Eine nicht gerade berauschende Aussicht. Aber warum finden sich trotzdem immer wieder Finanzinvestoren, die Millionenbeträge auf mehr oder weniger begründete „Träume“ investieren?
Inkubator
Eine wesentliche Determinante, die bei dem größten Teil der Gründungen von Internetangeboten zu berücksichtigen ist, sind die sogenannten „unternehmerischen“ Inkubatoren, die man allgemeinsprachlich auch als eine Form von Investoren bezeichnen kann. Diese werden uns bei einigen später betrachteten Unternehmen wieder begegnen.
Diese Business Angels – wie sie auch genannt werden – helfen mit, die neu gegründeten Unternehmen auf den Weg zu bringen und geben insbesondere in der Gründungsphase Unterstützung. Neben der Bereitstellung von sogenanntem Risikokapital, werden Beratungen und Coaching angeboten. Aber auch die Bereitstellung von Infrastrukturausstattungen (Büroräume usw.) bis hin zu professionellen Business-Plänen, kann die Angebotspalette des Know-how umfassen. Zumeist handelt es sich bei den Business Angels um Unternehmer oder leitende Angstelle, die über langjährige Berufserfahrung verfügen und was sehr wichtig ist, über ein weites Netz von Kontakten.
Die Honorierung dieser Tätigkeit erfolgt zum Beispiel durch die Übertragung von Gesellschaftsanteilen des Startup-Unternehmen an diese Berater. Es gibt aber auch noch eine weitere Größe, die in diesem Segment tätig ist.
Venture Capital
Beim Venture Capital (Wagniskapital, Beteiligungskapital) handelt es sich um die Bereitstellung von Kapital durch außerbörsliche Beteiligungsgesellschaften („private equity“) zur Finanzierung besonders riskant eingeschätzter Unternehmen.
Wesentlich ist, dass die finanziellen Mittel zumeist zeitlich unbegrenzt zur Verfügung gestellt werden, der Fokus und die Erwartung liegt aber durchaus auf den zukünftigen Verkauf der Anteile mit Gewinn, also die Hoffnung auf eine hohe Rendite. Auf der einen Seite droht der Totalverlust.
Die Business Angel treten in einer sehr frühen Phase der Gründung eines Startups in das Unternehmen ein, die „private equity“ eher zu einem späteren Zeitpunkt.
Doch betrachten wir nun konkret die wirtschaftlichen Entwicklungen einiger Anbieter etwas genauer. Bei der Datenbetrachtung wollen wir uns vorrangig auf einige Punkte der Passivseite der Bilanz beschränken. Eine ausführliche Bilanzanalyse wäre an dieser Stelle sicherlich auch ein zu hoch angesetztes Ziel. Schließlich sollen die Aufführungen mögliche Probleme aufzeigen und zur Diskussion anregen. Mit der Wahl der Passivseite der Bilanz steht die Mittelherkunft im Fokus der Betrachtung. Wie werden die Unternehmen finanziert und wie stellt sich jeweils die Finanzierungsstruktur dar?
Mister Spex GmbH
Wenn man es genau nehmen will, begann wohl alles als ahaoho GmbH in Berlin, wie man dem Unternehmensregister entnehmen kann, mit einem Stamm- bzw. Grundkapital von 100.000,00 Euro, siehe Tabelle 1.
Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 26.10. 2007 wurde der Sitz der Gesellschaft von Jena nach Berlin verlegt und der Gesellschaftervertrag insgesamt neu gefasst. Bereits mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 31.01.2008 wurde dann daraus die Mister Spex GmbH.
Jahresabschlüsse der Mister Spex GmbH liegen aktuell bis einschließlich dem Jahre 2011 vor. Veränderungsmeldungen lassen sich dem Unternehmensregister bis ins Jahr 2013 entnehmen. Leider gibt es für die Jahre 2008 bis 2011 nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der Daten, da ab dem Jahresabschluss 2010 der Jahresabschluss der Mister Spex GmbH auf der Grundlage der Rechnungslegungsvorschriften des Handelsgesetzbuches nach dem BilMoG (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes) erfolgte und die Vorjahresvergleichszahlen auf Grund des Wahlrechts des Art. 67 Abs. 8 S.2 EGHGB nicht angepasst wurden. Es lassen sich jedoch einige prägnante Entwicklungen aufzeigen.
Die Kapitalrücklage stieg von rd. 1,1 Mio. Euro (2008) auf rd. 7,4 Mio. Euro (2011). Der Verlustvortrag von rd. 27.500,00 Euro (2008) auf 8,8 Mio. Euro im Jahre 2011. In diesem Jahr wurde auch zum ersten Mal ein nicht gedeckter Fehlbetrag von rd. 1,0 Mio. Euro in der Bilanz ausgewiesen.
Bei einer Finanzierungsrunde im September 2010 holte das Brillen-Startup mit DN Capital und Xange zwei internationale Investoren ins Boot. Daneben sollen sich auch die bestehenden Investoren Grazia Equity, der High-Tech Gründerfonds, Team Europa und Astutia Ventures an der Finanzierungsrunde beteiligt haben. (Quelle: Deutsche Startups).
Im Jahre 2013 erhält die Mister Spex GmbH eine 12 Mio. Finanzierung von Scottish Equity Partners (SEP), wodurch SEP 23 Prozent an Mister Spex hält. Auch die Altinvestoren DN Capital, Xange und weitere nahmen an der Runde teil, so dass sich eine Summe von 16 Mio. Euro ergeben haben soll (Quelle: Deutsche-Startups).
Beim gezeichneten Kapital wird ein Zuwachs von rd. 313.000 EURO (2008) auf rd. 737.000 EURO (Beginn 2013) ausgewiesen.
Die Umsatzentwicklung – nach Angabe der Mister Spex GmbH – lag im Jahre 2009 bei 4,5 Mio. EURO, 2010: 11,0 Mio. EURO, 2011: 17,0 Mio. EURO und 2012 bei 26 Mio. EURO.
Im Jahre 2011 begann auch ein Paradigmenwechsel, weg vom reinen Internetanbieter und hin zur Einbeziehung eines Optiker-Partnerprogramms mit zunächst 36 Partner-Filialen, das sich in 2012 auf über 300 augenoptische Betriebe als Online-Partner erweitert haben soll. Der Multchannel-Vertrieb nimmt damit erheblich an Bedeutung zu.
Ein Teil der in der neuen Finanzierungsrunde eingespielten 16 Millionen Euro – so konnte man es verschiedenen Publikationen entnehmen – wurde für den Kauf von zwei schwedischen Startups (Lensstore und Loveyewear) verwendet. Damit schreitet die Internationalisierung von Mister Spex weiter voran.
Zwei Zitate mögen das Fazit zu Mister Spex darstellen:
„Die Idee zu Mister Spex entwickelte Graber anhand einer strukturierten Analyse von Märkten und Geschäftsmodellen. Nachdem er sich entschieden hatte, seiner Leidenschaft fürs Unternehmertum nachzugehen, und ein eigenes E-Commerce-Unternehmen auf die Beine zu stellen, identifizierte er die Optik als noch nicht vom Wettbewerb besetzte und daher attraktive Branche für den Internetvertrieb.“ (Quelle: Homepage von Mister Spex)
Das zweite Zitat kommt von einem Team Europe Sprecher, also einem Kapitalgeber an Mister Spex.
„Team Europe gibt Anteile ab, wenn ein entsprechender Preis geboten wird und – wie in diesem Fall von Mister Spex – ein Investor einsteigt, der neue Mittel für weiteres Wachstum in das Unternehmen einbringt.“ (Quelle: Gründerszene, Meldung vom 10.06.2013). Die Gesellschafter von Mister Spex sind in der Tabelle 2 dargestellt.
Lesen im nächsten Teil unter anderem mehr über mehr über Netzoptiker, Lenscare und Brille24.
Dr. Rolf Guddorf,
Frankfurt am Main
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