Startseite » News » Branche & Köpfe »

Fielmann-Kolloquium zu „Refraktion in speziellen Situationen“

Branche & Köpfe
Fielmann-Kolloquium zu „Refraktion in speziellen Situationen“

Am 4. Mai 2022 hat das 54. Kolloquium der Fielmann Akademie Schloss Plön zum Thema Refraktion in speziellen Situationen stattgefunden. Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. (FH) Hans-Jürgen Grein, Leiter Wissenschaft der Fielmann Akademie Schloss Plön, begrüßte mehr als 250 Teilnehmer.

Eine gute Refraktionsbestimmung bilde die Basis für die optimale Versorgung mit Brille und Kontaktlinsen. „Der Refraktionsablauf ist standardisiert und führt meist zu verlässlichen Ergebnissen“, so Grein. Manche Situationen erfordern jedoch ein Abweichen von den bewährten Routinen, dazu zählen die Refraktion über multifokale Intraokularlinsen, die Besonderheiten der Refraktionsbestimmung bei trockenen Augen sowie die Brillenglasbestimmung für das Sehen im nächtlichen Straßenverkehr.

Brauchen Kunden nach einer Katarakt-Operation eine Brille, sei es wichtig zu wissen, welche Art der Intraokularlinsen implantiert wurde. Insbesondere die Versorgung von Kunden mit multifokalen Intraokularlinsen stelle eine besondere Herausforderung dar. Multifokale Intraokularlinsen verfügen oftmals über mehrere Brennpunkte für unterschiedliche Entfernungen, erläuterte Grein. Auf der Suche nach dem richtigen Brennpunkt half die erste Referentin des Abends Svenja Nienhaus B.Sc., Klinische Leitung Optometrie, Medizinische Privatassistenz von Dr. med. Hakan Kaymak aus Düsseldorf

Idee der simultanen Abbildung

Die Optik aller multifokalen Intraokularlinsen sei so angelegt, dass zwei oder mehr Brennpunkte simultan Bilder auf die Netzhaut projizieren. Für das Auge resultiere die gleichzeitige Abbildung eines scharfen und eines unscharfen Bildes. Das Gehirn verarbeite die beiden unterschiedlichen Bildinformationen zu einer im Vergleich zum monofokalen Bild kontrastärmeren Wahrnehmung, erläuterte Nienhaus. Nicht selten führe dies jedoch auch zu Geisterbildern, die als Ringe um Lichtquellen wahrgenommen werden, sogenannte Halos. Zusätzlich verursachen Optikkanten oder Zonenübergängen Streulicht, was nicht selten zu Blenderscheinungen führe.

Um die Kontrastabbildung von Multifokallinsen zu verbessern und den Kontrastverlust im Vergleich zur monofokalen Intraokularlinse zu reduzieren, seien Designs entwickelt worden, die beispielsweise den Fern- und Nahfokus durch eine gezielte Lichtverteilung unterschiedlich gewichten. Durch zusätzliche Brennpunkte im Intermediärbereich lasse sich die Tiefenschärfe im Bereich zwischen den beiden Hauptbrennpunkten im Fern- und Nahteil besser ausnutzen. Insgesamt werden aktuell 200 verschiedene multifokale Linsentypen angeboten.

Bestmögliche Korrektion

Sowohl Augenoptiker und Optometristen, als auch Operateure haben das Ziel, die bestmögliche Korrektion für ihren Kunden/Patienten zu finden. Hierbei haben Augenoptiker einen guten Visus bei bestmöglichem Kontrast im Blick, während bei Operateuren die Sicherheit im Fokus stehe und die Suche nach einem großen Sehbereich bei adäquatem Visus. „Die perfekte Korrektion ist eine sehr kurze Landebahn“, so Nienhaus. Eine geglückte Landung bedeute nicht zwingend Emmetropie. Bei geplanter Monovision werde die Zielrefraktion bewusst auf einem Auge in der Myopie geplant. Diese Dinge sollte der Refraktionist unbedingt erfragen, bevor er mit der Messung beginnt.

Trotz guter Routinen könne die Refraktionsbestimmung über multifokale Intraokularlinsen gelegentlich verunsichern, da die Kunden sich zum Beispiel bei der Wendebefragung nicht sicher für ein besseres Glas entscheiden können. Eine objektive Messung helfe in diesen Fällen ebenfalls nicht. „Als allererstes würde ich Ihnen immer empfehlen, einen natürlichen Visus zu messen“, so Nienhaus. Anschließend könne eine normale subjektive Refraktionsbestimmung unter Auslassung der Rot-Grün-Teste erfolgen. Seien bestmögliche Fernkorrektion und optimaler Visus erreicht, folge Bestimmung der Defokuskurve der multifokalen Intraokularlinse.

Was, wenn die Zielrefraktion verfehlt wurde?

„Wenn Sie die kennen, haben Sie eine genaue Vorstellung davon, wo der Fernpunkt liegt, wo die Performance der Linse wirkt und vor allem in welcher Entfernung der Patient mit welchem Visus sieht.“ Lande der Kunde nach dem Linsentausch in der Hyperopie, werde dies in der Fernkorrektion nicht bemerkt. Erst die Ermittlung der Defokuskurve zeige den Verlust im Intermediärbereich und in der Nähe. Die Anpassung einer Gleitsichtbrille biete vermutlich die beste Versorgung. Lande ein Kunde versehentlich in der Myopie, sei die Sehschärfe in der Nähe und im Intermediärbereich top, während die Ferne zu wünschen übrig lasse. Sei das zweite Auge emmetrop, müssen Kunden nicht zwingend eine Brille tragen, sondern kommen in der Regel mit Monovision sehr gut zurecht. Weichen beide Augen ab, empfiehlt Nienhaus eine Fernbrille zum Autofahren.

Schwieriger sei die Situation bei Kunden mit abweichender Zielrefraktion und trifokalen Intraokularlinsen. In diesem Fällen helfen nur ein refraktives „finetuning“ oder eine Gleitsichtbrille. Betreffen die Schwierigkeiten nur das Lesen, profitieren diese Kunden von einer zusätzlichen Lesebrille und gutem Licht. Insgesamt sei das Thema multifokale Intraokularlinsen noch sehr klein. Nicht einmal 15 Prozent der implantierten Linsen seien multifokale Intraokularlinsen, resümierte Nienhaus.

Trockene Augen als Ursache für Visusminderung?

Trockenes Auge sei seit dem Jahr 2000 ein großes Thema und habe sich seitdem zu einer der häufigsten Augenerkrankungen weltweit entwickelt. Mehr als 30 Prozent der Kontaktlinsenträger leiden an Symptomen des trockenen Auges, betonte Prof. Wolfgang Sickenberger, Studiengangsleiter Optometrie/Vision Science an der Ernst Abbe Hochschule Jena, die Bedeutung des Themas für die Augenoptik. Trotz der großen Relevanz gebe es keine einheitliche Definition, ab wann ein Auge ein trockenes Auge sei. Seit 2007 gelte das trockene Auge als multifaktorielle Erkrankung, zu dessen Symptomen auch Sehstörungen zählen. In welchem Ausmaß ein instabiler Tränenfilm allerdings den Visus beeinflusse, könne mit herkömmlichen Messmethoden nicht ermittelt werden. Im Rahmen einer Forschungsarbeit haben das Jenvis Research Institut zusammen mit der Firma Oculus ein experimentelles Gerät entwickelt, mit dem simultan die Tränenfilm-Aufrisszeit und die Sehleistung gemessen werden könne. Wenig überraschend sei das Ergebnis, dass der Visus am ehesten einbreche, wenn die Abtrockung in der zentralen Zone vor der Pupille erfolge, so Sickenberger. Doch selbst wenn die Abtrockung weiter unten geschehe, sei bereits eine Sehleistungsveränderung messbar. Diese betreffe weniger den Visus, sondern vielmehr die Kontrastempfindlichkeit. Ab einer Abtrocknungsfläche von 5,25 Quadratmillimetern, was ungefähr der Fläche eines durchschnittlichen Bügelschraubenkopfes entspricht, reduziere sich der Visus um eine Visusstufe.

Tropfen oder nicht tropfen?

Ein schlechter Tränenfilm wirke sich ganz sicher auf die Refraktionsbestimmung aus, fasste Sickenberger die Ergebnisse zusammen. Das sollte Anlass genug sein, ein kurzes Tränenfilmscreening vor jeder Refraktionsbestimmung durchzuführen. Ein schnelles Screening könne einfach in das Dienstleistungsportfolio aufgenommen werden und sollte mindestens folgende Tests umfassen: Tränenmeniskus, NI(K)BUT, gezielte Dry Eye Anamnese sowie die Klassifizierung des Rötungsgrades der Bindehaut. „Ich bin ein Lipcof-Fan. Das ist ein Test, der ist komplett unabhängig von irgendwelchen Vorgeschichten. Den Test würde ich immer noch dazu packen,“ empfiehlt der Tränenfilm-Experte. Falle dieses Screening positiv aus, empfiehlt Sickenberger eine komplette Analyse anzuschließen. Eine Studie der Ernst-Abbe-Hochschule Jena habe zeigen können, dass etwa jeder dritte Kunde Probleme mit trockenen Augen hat.

Zu Beginn des Vortrags stellte Grein die Frage in den Raum, ob die Verwendung eines Nachbenetzers vor einer Refraktionsbestimmung hilfreich sein könne, um stabilere Verhältnisse zu generieren. Immerhin sollten sich „Glas eins und Glas zwei“ nur durch das vorgehaltene Glas unterscheiden und nicht von einem instabilen Tränenfilm überlagert werden. Diese Frage beantwortete Sickenberger mit einem eindeutigen Ja! – es solle vielleicht nur nicht ein hochvisköses Präparat gewählt werden.

Blind durch die Nacht

Im dritten Vortrag setzte sich Dr. Philipp Hessler, M.Sc. Optometrie/Vision Science und Optometrist bei Optik Hessler in Klingenberg und Erlenbach, mit den Besonderheiten des Sehens bei Dämmerung und Nacht auseinander. Jeder, der im Rahmen seiner Anamnese nach Problemen beim nächtlichen Autofahren frage, wisse, dass fast die Hälfte aller Kunden davon betroffen seien. Wenngleich ältere Menschen die Probleme eher bemerken, ziehen sich die Beschwerden durch alle Altersschichten. Die Zeit berichtete 2017: „Unfallforscher sprechen von ‚optischen Wahrnehmungsproblemen’, die inzwischen bei jedem zweiten Nachtunfall eine Rolle spielen sollen, und weisen damit auf ein medizinisches Phänomen unserer Gesellschaft hin: schlechtes Sehvermögen. ‚Wir gehen davon aus, dass jeder fünfte Autofahrer Nachtsehstörungen hat’, sagt Kerstin Kruschinski vom Kuratorium Gutes Sehen e.V. (KGS).“

Als häufigste Ursache seien Nachtmyopien für die nächtlichen Sehbeschwerden angenommen worden, so Hessler. Studien, zuletzt aus den 80er Jahren haben gezeigt, dass die sich bei skotopischen Sehverhältnissen einstellende Akkommodationsruhelage eine Myopie zwischen 0,5 bis 3,0 Dioptrien induziere. Daneben tragen die sphärische Aberration, die zwischen 0,1 bis 0,5 Dioptrien liege und die Purkinje Verschiebung mit 0,25 bis 0,7 Dioptrien zur Myopisierung bei. Neuere Studien konnten diese Werte jedoch nicht belegen.

Dämmerungsmyopie ein Massenphänomen?

Die Messung der Akkommodationsruhelage mit einem Durchsicht-Autorefraktometer habe einen Einfluss von 0,25 Dioptrien ergeben. Dieser Einfluss sei wahrscheinlich nicht für die hohe Unfallrate in der Dämmerung verantwortlich, vermutete Hessler. Spannend seien die Ergebnisse zum Einfluss der sphärischen Aberration auf die Refraktionsänderung bei Helligkeit und Dunkelheit. Hier zeige sich eine deutliche Korrelation in der objektiven Messung mittels Aberrometer: mit zunehmender sphärischer Aberration gehe eine zunehmende Myopisierung einher. Dieser eindeutige Zusammenhang aus der objektiven Messung lasse sich subjektiv nicht betätigen. Hessler zog daraus den Schluss, dass die sphärische Aberration für die Sehwahrnehmung bei Dämmerung und Nacht nicht die Rolle spiele, die ihr immer zugeschrieben worden sei. Gleiches gelte für die Purkinje Verschiebung. Diese finde in der zentralen Netzhaut nicht statt, sondern habe erst für einen Beobachtungswinkel von zehn Grad bestätigt werden können und spiele somit in der Dämmerung keine Rolle.

Dämmerungsmyopie sei kein Massenphänomen, sondern Einzelfälle, die gut versorgt werden können. Was sind dann die Gründe für die schlechte Sehwahrnehmung in der Dämmerung? „Das was die meisten Menschen quält ist wahrscheinlich in dem rein physiologischen Visusverlust zu finden.“ Der Visus sinke mit jeder Zehnerpotenz Leuchtdichte um etwa zwei Visusstufen ab. Für die Praxis bedeute dies, dass der nächtliche Visus physiologisch auf 0,32 absinke. Hinzu komme eine Minderung der Kontrastempfindlichkeit.

Dunkelrefraktion

Laut Hessler lohne es sich, die Einzelfälle mit einer Dämmerungsmyopie zu erkennen, da diesen Kunden einfach geholfen werden könne. Einige Tipps für die Refraktion in der Dunkelheit hatte der Referent mit im „Online“-Gepäck. Zunächst sei es wichtig, den Prüfraum richtig abzudunkeln, dazu gehöre auch das Abschalten von leuchtenden Displays und Monitoren. Optimal sei die Verwendung von klassischen Sehprobentafeln, da an diesen optimale Kontrastverhältnisse vorherrschen. Auch spezielle Sehprüfgeräte mit Real-Black-Technology seien einsetzbar. Nicht erlaubt sei die Darstellung heller Sehzeichen auf dunklem Grund, das verbiete die Norm. Hessler empfiehlt , die habituelle Korrektion als Basis für die Dunkelrefraktion zu verwenden und nach der Ermittlung des Dunkelvisus eine sphäro-zylindrische Überrefraktion durchzuführen. Im Anschluss solle der Visus erneut ermittelt werden. Mit einer Änderung des Zylinders sei eher nicht zu rechnen. Essentiell sei die Prüfung auf Refraktionsgleichgewicht, die Verwendung von Rot-Grün Testen funktioniere allerdings unter mesopischen Bedingungen nicht. Nicht selten seien Sehprobleme in Dämmerung und Nacht durch einen veränderten Phoriestatus begründet, gibt Hessler aus der eigenen Praxis weiter. Seinen betroffenen Kunden empfehle er eine spezielle prismatische Verordnung für die Dämmerung.

Aktuelles Heft


ao-info-Service

Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der ao-info-Service? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:













Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum ao-info-Service freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des ao-info-Service.
AGB
datenschutz-online@konradin.de