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Wenn die AOK in der Tür steht

Augenoptiker unter Druck
Wenn die AOK in der Tür steht

Bereits im letzten Jahr war es zu erahnen. Zu verschieden waren die Standpunkte, zu laut wurde mit den Säbeln gerasselt. Und jetzt geht’s ans Eingemachte. Es geht um Abrechnungsbetrug, den die AOK Niedersachsen mit einer eigens dafür gegründeten Task Force – man könnte auch Arbeitsgruppe sagen – aufzuklären versucht. Ansatz ist der „Stichtag“ der letzten Gesundheitsreform.

Stichtag war der 31. Dezember 2003, und entscheidend für einen Kassenzuschuss, so die Auffassung der Bundesgesundheitsministerin, das Abgabedatum. Viele Kassen haben trotzdem noch Sehhilfen mit Abgabedatum im Januar bezuschusst. Andere Augenoptiker warben damit, den Kassenzuschuss für ihre Kunden zu zahlen, so sie denn mit den Brillen erst im Januar fertig würden. Es gab viele verschiedene Ideen, wie mit dem Thema umzugehen sei.

Die Ermittlungen der Task Force haben jedenfalls ergeben, dass manche Augenoptiker bewusst die Brillenabgaben rückdatiert haben. Wie das herauskam? Die AOK Niedersachsen lässt, so eine Information des niedersächsischen Landesinnungsverbands, sämtliche Abrechnungen aus augenoptischen Betrieben aus dem Dezember 2003 prüfen und hat zwei Mitarbeiter damit beauftragt, sich mit den AOK-Versicherten in Verbindung zu setzen, die im Dezember 2003 eine Sehhilfe erhalten haben sollen.
Erklärt einer der befragten Versicherten, dass er die Sehhilfe erst 2004 abgeholt hat, dann wird zunächst ein internes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das bedeutet, dass Mitarbeiter der AOK Niedersachsen in dem augenoptischen Unternehmen eine Betriebsbegehung durchführen. Ein begleitender Augenoptikermeister begutachtet im Auftrag der Krankenkassen die Abrechnungsunterlagen.
Alle werden überprüft
Sicher ist: Alle werden überprüft. Das braucht seine Zeit. Nach Schätzungen des Landesinnungsverbandes wird’s bis Ende des Jahres 2004 dauern.
Kein Anspruch auf Einsicht, aber…
Ein Rechtsanspruch der Krankenkassen auf Einsicht in die betrieblichen Unterlagen besteht nicht. Augenoptiker können also den Mitarbeitern der Task Force den Einblick in die Kundenkartei verwehren.
Dabei sollte allerdings jeder bedenken, dass die Task Force nur dann aktiv wird, wenn der oben bereits erwähnte Verdacht durch Prüfung der Akten und Befragung der Versicherten entstanden ist. Es besteht also der Verdacht einer Straftat. Und die muss die Kasse melden. Eine Strafanzeige und die Sicherstellung der gesamten Kartei durch die Polizei sind möglich. Eine umfangreiche Versichertenbefragung ist sehr wahrscheinlich. Kommt es dabei zu weiteren Unstimmigkeiten, liegen die Kosten für die Untersuchung beim Unternehmer – von den weiteren Folgen mal ganz zu schweigen.
Innung rät zur Kooperation
Der Landesinnungsverband Niedersachsen rät in einem Informationsblatt: „Wir können vor der Verweigerung der Einsichtnahme durch die Mitarbeiter der Krankenkassen vor Ort nur warnen. Sobald Strafanzeige gestellt worden ist, ist die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens. Liegt ein öffentliches Interesse ihrer Ansicht nach vor, so kann das Verfahren durch eine einvernehmliche Einigung mit der AOK und Schadenswiedergutmachung nur strafmindernd sich auswirken. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wird jedoch zu Ende geführt.“
Klare Sache also: Wer kooperiert, kommt unter Umständen glimpflicher davon.
Was geschieht genau?
Die AOK-Mitarbeiter und der Sachverständige vergleichen die der Kasse vorliegenden Berechtigungsscheine und ärztlichen Verordnungen mit der Dokumentation des Augenoptikers. Ziel ist es zu überprüfen, ob die Angaben der Versicherten stimmen und den eventuell entstandenen Schaden zu ermitteln.
Dokumentation ist Pflicht
Es hat bereits Augenoptiker gegeben, die das Abgabedatum nicht dokumentiert hatten, obwohl sie durch das MPG dazu verpflichtet sind. In diesem Fall prüft die AOK sämtliche Lieferscheine und die Kassenbelege inklusive electronic cash. Die niedersächsische Landesinnung weist darauf hin, dass die AOK dann davon ausgeht, dass alle Aufträge, die nach dem 15.12 2003 erteilt wurden, nicht mehr im Jahr 2003 abgegeben werden konnten. Eventuell fehlende Lieferscheine können bei den Glaslieferanten angefordert werden.
Die Rechnung
Ergeben sich Rückdatierungen aus der Überprüfung, müssen die Augenoptiker den Schaden begleichen. Die Augenoptiker dürfen freilich die Daten prüfen und eine Liste der betroffenen Abrechnungen erstellen. Mit der AOK wird dann eine Vereinbarung getroffen, die neben der Schadenswiedergutmachung eine Vertragsstrafe und die Kosten der Ermittlung beinhaltet.
Ergeben sich bei der Prüfung weitere Unregelmäßigkeiten (Bsp: Bifo abgegeben, Trifo abgerechnet), dann wird’s schlimmer. In solchen Fällen von Abrechnungsbetrug wird der vermeintliche Schaden prozentual auf fünf Jahre rückwirkend hochgerechnet.
Der Landesinnungsverband Niedersachsen, in den letzten Monaten verschärft mit diesem Thema beschäftigt, liefert dazu ein Beispiel: „Bei der Überprüfung wurden zehn mal Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit Bifo/Trifo, Sonnenbrille und phototrop/Tönung bei den AOK-Versicherten festgestellt. Der Durchschnittswert der falschen Abrechnungen beträgt 100,00 Euro. Überprüft wurden ca. 30 Abrechnungen aus dem Dezember 2003. In einem solchen Fall geht die AOK davon aus, dass in den vergangenen fünf Jahren 33 Prozent der Abrechnungen falsch waren.
Zur Schadensermittlung geht sie von dem Jahresumsatz der vergangenen fünf Jahre aus. Beträgt dieser im Durchschnitt 20000,00 Euro, bedeutet dies einen pauschalen Schaden von 33000,00 Euro) für die AOK. Da die AOK Niedersachen auch die anderen RVO-Kassen bei der Verfolgung von Abrechnungsbetrug vertritt, fordert die AOK auch für die anderen RVO-Kassen den vermeintlichen Schaden zurück.
Da in Niedersachsen der Anteil von AOK und anderen RVO-Kassen jeweils ein Drittel beträgt, wird der ermittelte vermeintliche Schaden verdoppelt. Insgesamt werden also 66000,00 Euro fällig.“
Vertragsstrafe
Handelt es sich bei den festgestellten Unregelmäßigkeiten „nur“ um die Rückdatierungen, fällt die Vertragsstrafe geringer aus als die rund 13.000 Euro pro betroffener Betriebsstätte. Die Summe ergibt sich aus § 16 Abs 1 Ziffer b) der Vereinbarung über die Lieferung von Sehhilfen aus dem Jahre 1974.
Keine Strafanzeige
In den seltensten Fällen kommt es nach einer Vereinbarung (und entsprechender Zahlung) noch zu einem Strafverfahren.
Was tun, wenn sie da sind?
Zunächst einmal ruhig bleiben und fragen, worum es geht. Geht es lediglich um Rückdatierungen, erstellen Sie eine Liste der betroffenen Versicherten.
Hilfreich ist in jedem Fall eine Auflistung der Jahresumsätze bei der AOK sowie der anderen RVO-Kassen seit 1999. Möglicherweise können Sie schon damit den Schaden minimieren, auf jeden Fall aber realistisch darstellen.
Wenn Sie Zweifel haben, setzen Sie sich mit Ihrer Innung in Verbindung oder wenden Sie sich an einen Fachanwalt. In jedem Fall sollten Augenoptiker wahrheitsgetreue Angaben machen. Jeder weitere Fehler könnte wirklich teuer werden bzw. staatsanwaltschaftliche Ermittlungen nach sich ziehen.
AOK registriert Millionenschaden
Nach sechs Monaten intensiver Recherche registriert die AOK Niedersachsen den „mit Abstand größten Schadenskomplex, der in Niedersachsen und möglicherweise bundesweit jemals festgestellt wurde“. Gerade einmal sechs Monate hat es gedauert, bis über fünf Millionen Euro Schäden aufgedeckt wurden.
Die AOK registriert allerdings auch, dass sie von zahlreichen seriösen Augenoptikern positive Rückmeldungen für diese zugegeben unangenehme Arbeit erhält. Die gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen seien auch nicht neu, wie manche behaupten. Und: „Entgegen anders lautenden Behauptungen ist das Problem „Stichtagsregelung“ im Übrigen weniger bedeutsam. Der überwiegende Teil der festgestellten Falschabrechnungen bezieht sich auf die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen“, antwortete Klaus Altmann, Pressesprecher der AOK Niedersachsen auf Fragen unserer Redaktion.
Theo Mahr
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