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Warum kauft der Mensch das, was er kauft?

Neuromarketing
Warum kauft der Mensch das, was er kauft?

Diese Frage beschäftigt das Marketing seit je her. Wenn man wissen will, wie und warum der Mensch handelt, dann kann die Lösung dieser Fragen nur über das Gehirn führen. Das Gehirn ist unser Computer, der bestimmt, wie wir bewusst oder unbewusst agieren. Und genau da setzt Neuromarketing an.

Was ist eigentlich Neuromarketing?
Lassen Sie mich zu den Anfängen des Neuromarketing in das Jahr 2002 zurück blicken. In diesem Jahr sorgte eine wissenschaftliche Untersuchung für Schlagzeilen in der amerikanischen Publikumspresse.

Mit Hilfe eines Hirnscanners (fMrI = functional Magnetic Resonance Imaging) hatte das Team um die Hirnforscher McClure und Montaque festgestellt, dass Coca Cola und Pepsi völlig unterschiedliche Hirnbereiche bei Konsumenten aktivierten.
Zunächst wurden den Versuchspersonen beide Getränke ohne Nennung der Marke verabreicht. Hier zeigten sich keine Unterschiede im Gehirn – beide Getränke aktivierten das vordere Großhirn, genauer den Bereich, der für die Speicherung von belohnenden Erfahrungen zuständig ist. Für das Gehirn stellen süsse Nahrungsmittel eine Belohnung dar.
Völlig andere Hirnbilder erhielt man aber, wenn die Marken während des Konsums gezeigt wurden. Bei der Marke Coca Cola wurden zusätzlich weitere Hirnbereiche aktiviert, während bei Pepsi das Hirn stumm und still blieb. Die Freude im Hauptsitz des Coca-Cola-Konzerns war riesig. Scheinbar war doch durch diese Untersuchung der wissenschaftliche Beweis für die Überlegenheit von Coca Cola gegenüber Pepsi erbracht. Zeigten die Bilder doch, dass die Marke Coca Cola eine wesentlich größere Bedeutung für das Konsumentenhirn hat.
Wegen des enormen öffentlichen Wirbels erregte die Botschaft von geheimnisvollen Hirnscannern, mit denen man möglicherweise den ultimativen Kaufknopf im Konsumentenhirn finden oder mit deren Hilfe man unwiderstehliche Produkte und Werbekampagnen kreieren könne, das Interesse in einigen Konzernzentralen. Innovative Marketing- und Marktforschungsabteilungen begannen sich für Hirnforschung zu interessieren. Ein Hype setzte ein, um eine neue Methode, die Konsumenten gläsern erscheinen lässt und die Werbewirtschaft in Verzückung setzte. Der Name dieser neuen Disziplin: Neuromarketing.
Dr.Hans Georg Häusel, einer der Väter des Neuromarketings im deutschsprachigen Raum, unterscheidet Neuromarketing in Consumer Neuroscience und Neuromarketing.
Consumer Neuroscience beinhaltet die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung zum Kaufverhalten, während Neuromarketing anwendungs- und praxisorientiert ist.
Hohe Erwartungen
Die Erwartungen an diese neue Disziplin sind hoch. Im umgekehrten Verhältnis zur Hoffnung, steht aber das Wissen darüber, was Neuromarketing ist, was es heute schon leistet und was es morgen leisten kann.
Die neuen Verfahren der Neurowissenschaften bieten bislang nicht vorhandene Möglichkeiten den Menschen und seine Funktionsweise zu untersuchen. Sie eröffnen damit auch völlig neue Chancen, den Konsumenten und die Wirkung von Marken, Kommunikation und Produkte auf ihn zu verstehen.
Der aktuelle „Neuro-Hype“ im Marketing-Mix ist ein Indiz für die Unzufriedenheit bisheriger Verfahren und Theorien. Und diese Unzufriedenheit ist berechtigt. Die bisherigen Steuerungs- und Planungsinstrumente sind unzureichend, noch zu viele Kampagnen und Produkte erreichen ihre Ziele nicht.
Noch immer scheitern mehr als 90% aller Direktmailings und 80% der neu eingeführten Produkte. Jedes Jahr müssen etwa 20.000 Artikel nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden. Laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) werden jährlich ca. 10 Milliarden Euro verschwendet.
Wie soll der Erfolg vom Zufall befreit werden?
Neben dem wirtschaftlichen Schaden quälen vor allem die offenen Fragen: Was haben wir übersehen, was falsch gemacht? Was lernen wir daraus? Wo gibt es neue, erfolgsbringende Ansätze?
Klassisches Marketing und auch die Marktforschung stoßen an ihre Grenzen. Weil Konsumenten gelernt haben, was Marktforscher hören wollen, und in Zielgruppen die Meinungsbildner das Gruppenbild verzerren, möchten die Unternehmen ihre Forschungsergebnisse besser absichern.
Der Konsument ist in Zeiten gesättigter Märkte mit einer Vielzahl meist gleichwertiger Produkte konfrontiert. Nach welchen Kriterien entscheidet er sich für das eine oder andere Produkt? Auf welche Signale reagiert er, wenn er sich entscheidet, was macht den Unterschied? Und wie können Marktforscher über die wirklichen Beweggründe erfahren?
Konsumenten können häufig keine Auskunft über die wahren Gründe ihres Kaufverhaltens geben, weil viele Signale unbewusst wirken.
An dieser Stelle ein kurzer, nicht zu wissenschaftlicher Exkurs zur Funktionsweise des Gehirns. (Quelle: Christian Scheier, Christian Held)
Im Gehirn agieren zwei Systeme miteinander, das Bewusstsein (der Pilot) und das Unterbewusstsein (der Autopilot). Der Pilot ist aktiv, wenn wir bewusst über etwas nachdenken und planen. Der Autopilot ist immer aktiv, wenn unsere Sinne etwas wahrnehmen, wenn wir Gefühle spüren oder intuitiv handeln.
Ein Beispiel: Bei unserer ersten Fahrstunde mit dem Auto mussten wir viele Aufgaben, wie Bremspedal, die Schaltung und Kupplung sowie diverse Hebel und die Spiegel zum ersten Mal miteinander koordinieren.
Während dieser Zeit war unser Pilot aktiv. Denn er hat etwas Neues getan, über das er bewusst nachdenken musste, nämlich lernen. Diese Konzentration auf die verschiedenen Abläufe war sehr anstrengend für das Gehirn und verbrauchte dabei ca. 20% der gesamten Körperenergie.
Heute fahren wir Auto und allein unser Autopilot ist aktiv, der gelernte Muster automatisch ohne Mühe umsetzt. Konzentriertes Denken verbraucht also enorme Energie.
Auf unseren Körper prasseln ca. 11 Millionen Bit pro Sekunde an Informationen ein. Nur 40 Bit pro Sekunde kann das Gehirn aufnehmen und verarbeiten. Aktives und bewusstes Nachdenken wird von unserem Gehirn nicht gerade belohnt. Evolutionstechnisch gesehen fährt der Mensch mit dem Autopiloten sparsamer und lieber.
Was bedeutet diese Erkenntnis für das Marketing und die Marktforschung?
Konsumenten laufen durch die Kaufhäuser, sind überfordert aufgrund der Vielfalt ähnlicher Produkte. Wofür sollen sie sich entscheiden? In der Not sucht unser Gehirn nach bekannten Mustern und das in Millisekunden. So trifft die Kaufentscheidung in ca. 90 % aller Fälle unbewusst unser Autopilot.
Oft erkennen wir Marken schon von Weitem, ohne überhaupt ein Logo gesehen zu haben. Marken haben eine hohe Anziehungskraft, weil im Gehirn positive Emotionen freigesetzt werden, ihre Bedeutung erkannt und mit Belohnung kombiniert wird.
Darum Vorsicht bei Änderungen von Logos, Verpackungen, Farbe oder Neupositionierung von bekannten Marken. Schon kleinste Detailänderungen können das Gehirn dazu bringen, das Muster nicht mehr zu erkennen.
Fazit: Neuromarketing ist eine praxis- und anwendungsorientierte Methode auf Grundlage Neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. Diese Erkenntnisse haben für das Marketing enorme Konsequenzen.
Einer Studie der Umdasch Group kommt zu folgendem Ergebnis:
Während man lange Zeit auch im Marketing vom bewussten und vernünftigen handelnden Konsumenten ausging, zeigt die aktuelle Hirnforschung, dass der unbewusste Anteil an einer Entscheidung um ein Vielfaches größer ist. (ca.90%)
Die Kenntnis dieser unbewussten Entscheidungsprozesse und der zugrunde liegenden neuralen Mechanismen ist für das Marketing von enormer Bedeutung.
Eng verbunden mit dem Mythos des bewusst kaufenden Konsumenten ist das Bild des rational handelnden Konsumenten. Auch hier zwingt die aktuelle Hirnforschung zum Umdenken. Es gibt keine Entscheidungen, die nicht emotional sind. Und Emotion und Ratio sind nicht das Gegenteil. Gleichzeitig zeigt die Hirnforschung, welche Emotionssysteme im menschlichen Hirn vorhanden sind und wie sie im Detail wirken. Gerade diese Erkenntnisse sind für das Marketing und die Werbekonzepte marktentscheidend.
Multisensorische Verarbeitungsprozesse
Shops und Produkte wirken auf das Gehirn über verschiedenste Wahrnehmungskanäle und Signale unbewusst ein. Dabei sind Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten nur ein Teil des Inputs, der im Gehirn verarbeitet wird. Inzwischen spielt die Multi-Sensorik-Forschung eine wichtige Rolle in der Hirnforschung. Zunehmend wird erkannt, wie sich die verschiedenen Wahrnehmungskanäle gegenseitig beeinflussen. Das bedeutet für das Online-Marketing die größte Herausforderung, vor der es je stand.
Emotional-kognitive-Verarbeitungsprozesse
Die Hirnforschung zeigt: Die klassische AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire, Aktion) hat ausgedient, weil Aufmerksamkeits- und kognitive Verarbeitungsprozesse im Hirn anders ablaufen. Zudem verweist die Hirnforschung darauf, wie zeitliche Abläufe und Wahrnehmungsinhalte verarbeitet werden – eine Herausforderung von Werbung im TV,Kino und Internet.
Neurowissenschaftliche Persönlichkeitsforschung
Dass sich Konsumenten in ihrer Persönlichkeit und damit auch in ihrer Produkt- und Markenpräferenzen unterscheiden, ist längst bekannt. Viel wichtiger ist aber die Frage, wie die Persönlichkeitsunterschiede aus Sicht der Hirnforschung aussehen und wie sich diese Unterschiede in emotional-kognitive Kaufentscheidungen auswirken. Früher definierte man einzig und alleine Zielgruppen. Heute ist es marktentscheidend innerhalb der Zielgruppen die Persönlichkeitsstrukturen der Konsumenten anzusprechen.
Neurowissenschaftliche Geschlechtsforschung
Was man schon immer wusste: Frauen und Männer sind ticken verschieden. Inzwischen wurden mehr als 200 Unterschiede im Gehirn und in der Neurochemie festgestellt. Unterschiede, die einen erheblichen Einfluss auf Denkstil, Emotionsstruktur und Verhalten haben. Wenn man bedenkt, dass 70% des freien Einkommens von Frauen entschieden wird, aber 80% der Marketingkampagnen dagegen von Männern, wäre es von Vorteil, innerhalb der Entscheiderteams mehr Frauen einen Raum zu geben.
Neurowissenschaftliche Altersforschung
Der alternde Konsument ist eine zentrale Herausforderung für das Marketing. Das Gehirn mit seinen Emotions- und Kognitionssystemen verändert sich erheblich im Laufe des Lebens. Die Botenstoffe im Gehirn verändern Entscheidungen – auch unbewusst. Mit zunehmendem Alter sind Sicherheit und Balance bedeutender, als Abenteuerlust und Lifestyle.
Die Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften zeigen, welchen Profit das Marketing schon heute aus der Hirnforschung ziehen kann. Marketer, die diese Erkenntnisse der Hirnforschung nicht nutzen und Neuromarketing nur für einen kurzfristigen Hype halten, verschlafen große Chancen.
Manuel Neulist
Europ. Dipl. Fachwirt Marketing
Zertifizierter INtem-Limbic®- Sales Trainer
Quellen: Dr. Hans Georg Häusel – Vorstand der Nymphenburg Consulting Group
Christian Scheier (Dipl. Psychologe) & Christian Held (Dipl. Psychologe)
Prof.Dr.Dr. Roth Hirnforscher
Bildmaterial: Siemens Pressestelle und Fotolia
Vertiefende Literatur:
Neuromarketing, Haufe Verlag
Brain View – Warum Kunden kaufen, Haufe Verlag
Emotional Boosting – Die hohe Kunst der Kaufverführung, Haufe Verlag
Wie Werbung wirkt, Haufe Verlag
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