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Interdisziplinäre Aspekte des Binokularsehens

26. Jahreskongress der IVBS
Interdisziplinäre Aspekte des Binokularsehens

Der 26. Jahreskongress der Internationalen Vereinigung für Binokulares Sehen im Mai 2013 war der erste unter dem veränderten Namen der Vereinigung, der nun im erweiterten Sinne mehr auf das binokulare Sehen statt nur auf die prismatische Vollkorrektion hinweist. Zusammen mit den Anmeldungen für den Tag der Optometrie des ZVA am Folgetag hatten sich nahezu 350 Teilnehmer gemeldet. Das Tagungsprogramm der IVBS wurde dem interdisziplinären Anspruch der Vereinigung gerecht und bot neun interessante und hochwertige Vorträge zu je 30 Minuten und je eine Diskussionsrunde nach jedem der drei Vortragsblöcke: 1. Sehfunktionen, 2. Mess- und Korrektionsmethodik nach Hans-Joachim Haase (MKH) und 3. Augenbewegungen.

IVBS-Präsident Georg Stollenwerk konnte zur Tagungseröffnung und auch zur abendlichen Generalversammlung der Mitglieder über eine positive Entwicklung der IVBS berichten. Das betrifft die Mitgliederzahlen, die Teilnehmerzahlen an Seminaren und am Kongress sowie die Akzeptanz der MKH in der Fachwelt.

Auch ZVA-Präsident Thomas Truckenbrod begrüßte die Kongressteilnehmer, betonte die Notwendigkeit des engen Zusammengehens von ZVA, VDCO und IVBS auf dem Gebiet der Optometrie und gab als besonderes Zeichen seines guten Willens seinen persönlichen Aufnahmeantrag in die IVBS ab.
Zur Trainierbarkeit von Sehfunktionen
Dr. Gernot Jendrusch, Biologe und Sportwissenschaftler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sportmedizin der Ruhr-Universität Bochum betrachtete kritisch die zahlreichen Studien über Erfolge des Sehtrainings. Dabei sollte man unterscheiden nach dem Erfolg des Trainings gezielter, präziser und schneller Wahrnehmung des gesunden bzw. normalen Sehorgans und nach dem Training zur Überwindung von Sehdefekten bzw. eingeschränkten Sehfunktionen.
Dr. Jendrusch sagte: „Visueller Mehrkämpfer“ im Sport – und das durch Training? Natürlich sind „guter Durchblick“ und Aufmerksamkeit für Spitzensportler unverzichtbar! Beim Handball aus den Augenwinkeln wahrnehmen, was Mitspieler oder Gegenspieler gerade tun; beim Tennis oder Beachvolleyball möglichst genau „vorhersehen“ welchen Weg der Ball nimmt: Visuelle Wahrnehmung und Reaktion spielen bei nahezu allen Sportarten eine entscheidende Rolle.
Screening von Sehfunktionen bei Hochleistungssportlern
Prof. Wolfgang Sickenberger, Professor für Physiologische Optik und Optometrie an der Ernst Abbe Fachhochschule Jena, setzte die Betrachtungen die Zusammenhänge zwischen Sehleistung und sportlicher Leistung fort. Das Sehen ist zweifelsfrei die wichtigste Sinnesfunktion für die Ausübung der meisten Sportarten. Je nach Sportart haben Athleten verschiedene Aufgaben zu bewältigen, bei denen sehr gute visuelle Fähigkeiten Vorteile bei der Sportausübung mit sich bringen. Beispielsweise bei der Orientierung und Wahrnehmung im Raum, dem Gleichgewicht, der Kontrolle der Eigenbewegung oder dem Beobachten und Abschätzen des gegnerischen Verhaltens ist die visuelle Wahrnehmung ausschlaggebend, wie schnell und wie genau wird das gegnerische Verhalten erkannt und verarbeitet.
Auswertungen zur Sehleistung von Profisportlern zeigen, dass ca. ein Drittel von ihnen nicht optimal sehen, teilweise ohne dies selbst zu wissen! Hier kann die Augenoptik/Optometrie eine Lücke in der Versorgung von Sportlern füllen – z.B. über spezielle Sportvision Screenings.
Flexibilität von Akkommodation und Vergenz
Silke Lohrengel, M.Sc., Dipl.-Ing. (FH) Augenoptik, Anwendungsberatung bei Hecht Contactlinsen und Teilzeit-Mitarbeiterin der Universitäts-Augenklinik äußerte sich auf Grund Ihrer Erfahrungen auch als Visualtrainerin zu grundlegenden Zusammenhängen von Akkommodation und Konvergenz.
Fokussieren und erkennen in unterschiedlichen Entfernungen und Geschwindigkeiten gehört zu unserem täglichen Leben. Als Kind hat man angefangen, fortwährend zwischen dem Tafelbild in der Ferne und dem Heft in der Nähe zu wechseln. Sportler benötigen besonders in Mannschaftssportarten eine hohe Flexibilität in jeder Richtung. Sind wir zu lange auf eine konstant kurze Nahlese- oder Bildschirmentfernung eingestellt, geht die Flexibilität des Sehens unmerklich zurück. Beim schnellen Blick in die Ferne sehen wir dann spontan eher verschwommen.
Die MKH im Vergleich mit konventionellen Messmethoden
Im Vergleich zum Vorredner enthielt der Grundsatzbeitrag von Prof. Ralph Krüger erfreulich viel klares Rüstzeug für strukturiertes, systematisches Vorgehen und messbare Korrektionserfolge.
Die heute in der Augenheilkunde, der Orthoptik und der Augenoptik/Optometrie angewendeten Verfahren zur Bestimmung von Korrektionswerten bei Heterophorie unterscheiden sich einerseits bezüglich ihres Messaufbaus (Art der Trennung der Seheindrücke für rechtes und linkes Auge, Beleuchtungsbedingungen, Dosierung der Fusionsreize, Einzeltest/Testreihe usw.) und andererseits bezüglich der Interpretation und Bewertung ihrer Messergebnisse sowie der daraus resultierenden Korrektionsvorschläge. Prof. Krüger betrachtete die gängigsten Heterophorie-Messverfahren hinsichtlich dieser Aspekte und machte deutlich, wodurch sich die MKH von anderen Methoden abhebt. Während die dissoziierenden Messverfahren die Auslenkung des nicht fusionierbaren, abweichenden Seheindrucks in Winkelgrad oder Prismendioptrien bestimmen und daraus das Korrektionsprisma oder der Winkelbetrag für die operative Muskelkorrektur errechnet wird, misst man beim assoziierenden Messverfahren (MKH) den Prismenwert, mit dem die Fusion in Vergenz- Ruhelage erreicht bzw. aufrecht erhalten bleibt.
Ist FD objektiv nachweisbar?
Volkhard Schroth ging davon aus, dass in der Augenheilkunde und der Optometrie seit etwa 50 Jahren die Augenstellung aufgrund subjektiver Testverfahren bestimmt und teils mit Brillengläsern korrigiert werde. Dies wird vielfach sehr kritisch beurteilt, weil das okulomotorische System sehr anpassungsfähig ist und Prismenadaptation den Effekt aufheben würde. Heute gibt es durch hoch auflösende Eyetracking Systeme die Möglichkeit, die Augenstellung objektiv zu messen und so die Auswirkungen von Korrektionsgläsern zu überprüfen. Mittels der objektiv gemessenen FD können auch Hypothesen der MKH-Theorie untersucht werden.
Weil es einen große wissenschaftlichen Klärungsbedarf an den optometrischen Hintergründen gibt, aber auch Brillenglas- und Refraktionsgerätehersteller Interesse an diesen Aufgabenstellungen zeigten, kam es an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten zu einer wissenschaftlichen Studie, deren Koordination Volkhard Schroth oblag.
Astigmatismus unter binokularen Sehbedingungen
Fritz Paßmann, Dortmund, legte dar, dass die exakte monokulare Augenglasbestimmung Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Prüfung des Binokularstatus ist. Neben der Sphäre wirken sich die ermittelte Stärke des Korrektionszylinders und insbesondere seine Achslage auf die Verträglichkeit der empfohlenen Verordnung sowie insbesondere die Raumwahrnehmung aus. Nach der monokularen Refraktion wurde bisher nur die Sphäre unter binokularen Bedingungen abgeglichen. Es zeigt sich aber, dass auch der Abgleich des Astigmatismus in Stärke und Achslage unter binokularen Bedingungen auf Grund einer Verrollung beider Augen empfehlenswert ist. Dafür stehen diverse Teste zur Verfügung. Der Vortragende wiederholte anatomische Grundlagen für das Verständnis der binokularen Augenbewegungen. Aus der phorischen Verrollung der Augen resultiert oft eine messbare Differenz der Zylinderachsen zwischen monokularer und binokularer Fernrefraktion.
Torsionsbewegungen der Augen bei Konvergenz
Dr. Wolfgang Becken, Rodenstock, erklärte wie beim Sehen in der Nähe kann der Astigmatismus des Auges sowohl bezüglich des Betrages als auch der Achse vom Astigmatismus in der Ferne abweichen kann. Die Ursachen für diesen Nahastigmatismus lassen sich in drei Gruppen einteilen: physiologische, geometrisch-optische und individuell-anatomische Gründe.
Die physiologischen Gründe betreffen die Einstellung des Augapfels bezüglich der Torsion um seine Längsachse und damit die Auswirkungen auf die Zylinderachslage. Die Stellung des Auges bei tertiären Blickrichtungen spielt auch schon beim Blick in die Ferne eine Rolle und wird dabei durch die Listingsche Regel beschrieben. Diese besagt, dass die Stellung des Augapfels für jede Blickrichtung unabhängig von der Vorgeschichte der Blickrichtungen dieselbe ist, und dass sie als das Ergebnis einer Drehung um eine einzige Achse aufgefasst erden kann, die sowohl senkrecht auf der Nullblickrichtung als auch auf der tertiären Blickrichtung steht.
Fazit
Der darauffolgende Tag der Optometrie des ZVA war eine wertvolle fachliche Ergänzungen für die Mitglieder der IVBS. Ebenso bot der IVBS-Jahreskongress auch anderen optometrisch interessierten Nichtmitgliedern wertvolle Einblicke in die komplexe Binokularprüfung. Das Zusammenrücken der Aktivitäten der Fachverbände wurde von fast allen Teilnehmern als eine Synergie begrüßt.
Ulrich Maxam
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