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Wie private Betriebe überlebten

Augenoptik in der DDR
Wie private Betriebe überlebten

Wie private Betriebe überlebten
Fachtagung für Augenoptiker in der DDR: Hohe Qualität, wichtig für die Aus- und Weiterbildung.
Nach marxistischer Lehre hat der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung die Verstaatlichung jeglicher Produktionsmittel zum Ziel. Dennoch bestand in der DDR bei den meisten Absolventen der Jenaer Fachschule der Wunsch zur Selbstständigkeit.

Zu Beginn der deutschen Teilung 1948 waren die ostdeutschen optischen Großbetriebe Zeiss-Werk Jena und das Jenaer Glaswerk Schott & Genossen und die Emil Busch AG in Rathenow und Nitsche & Günther enteignet und verstaatlicht worden.

1958 wurde mit der Verordnung über die Produktionsgenossenschaften des Handwerks eine weitere Kollektivierung eingeleitet, speziell in Rathenow mehrere mittelgroße hauptsächlich Brillenfassungen, Brillengläser und Zubehör herstellende Handwerksbetriebe in Produktionsgenossenschaften zusammengefasst, um dann 1972 zwangsweise in sogenannte Volkseigene Betriebe überführt zu werden.
Wer sich widersetzte, konnte mit Gefängnis bestraft werden. [2] Auch Schikanen gegenüber den sich gegen eine Verstaatlichung wehrenden Apothekenbesitzern (ihren Kindern wurde der Besuch der Oberschule und das Studium verwehrt), schürte die Sorge, dass Gleiches auch in unserer Branche geschehen könnte.
Erst 1974 wurde dann staatlicherseits fest zugesichert, dass es zu keiner Verstaatlichung der privat geführten Augenoptikergeschäfte kommen würde. Da feste Zusagen nicht nur am 13. August 1961 gebrochen wurden, blieb einige Skepsis erhalten.
Zur Erlangung von Gewerbegenehmigungen waren stets hartnäckige Kämpfe notwendig. Von Amtswegen wurde gern auf angeblich bevorstehende Gründungen staatlicher Betriebe und Produktionsgenossenschaften verwiesen. Dennoch hatten den viele den Mut und die Ausdauer zum Kauf von Augenoptikergeschäften, die sonst aus Altersgründen hätten aufgegeben werden müssen, ja sogar zur Neugründung.
Private Augenoptiker gehörten zum Handwerk und gleichzeitig dem Gesundheitswesen an, ihre technische Ausrüstung blieb speziell Anfang der 70er-Jahre weit hinter dem staatlichen Sektor, speziell der Zeiss-Augenoptik- Geschäfte, zurück. Das betraf sowohl den Bereich der Refraktionsbestimmung und Anpassung wie auch Maschinen und Geräte im werkstatt-technischen Bereich.
Es war einem privaten Augenoptiker einfach nicht möglich, ein zeitgemäßes Spaltlampenmikroskop zur Kontaktlinsen-Anpassung noch einen Sehzeichenprojektor für die Refraktionsbestimmung zu bekommen. Eine den damaligen Verhältnissen nach moderne, hauptsächlich für den Export bestimmte schwenkbare Refraktionseinrichtung der Firma Zeiss in Jena (ophthalmologische Einheit mit Koinzidenz-Refraktometer, Spaltlampen- Mikroskop, Ophthalmometer, Ophthalmoskop, Zentriskop, Skiaskop und Sehzeichenprojektor kostete 150.000 Ostmark. Eine solche Ausstattung blieb auf ganz wenige Zeiss-Filialen beschränkt. Kein privater Augenoptiker, kein Augenarzt hätten sich eine solche Investition leisten können.
Die ersten 1971 in der DDR produzierten Brillenglasrandschleifautomaten einschließlich Diamant besetzter Schleifscheiben, Zentrier- und Aufblockeinrichtungen waren zunächst ebenfalls nur staatlichen Betrieben vorbehalten. Da auch hier vieles in den Export ging, war der Verkauf einschließlich der Ersatzteile in die DDR ohnehin streng kontingentiert und damit für Privatbetriebe besonders schwer erhältlich.
Also mussten private Augenoptikerbetriebe bis fast Mitte der 70er-Jahre hauptsächlich mit alten Maschinen, die meist noch aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg stammten, auskommen. Die Ausstattung mit Untersuchungs- und Messgeräten war ähnlich schwierig, die wirtschaftliche Seite am DDR-Niveau gemessen dennoch gut. Augenoptiker bekamen noch 1965 den höchsten im DDR-Handwerk zugelassenen Fertigungsgemeinkostensatz.
Später wurden feste Verdienstaufschläge pro Fassung und Gläser vereinbart. Der Augenoptiker hatte unter Einhaltung einiger Richtlinien (nur wenige Fälle waren dem Ophthalmologen vorbehalten) das uneingeschränkte Recht zur Verordnung, Fertigung und Abgabe von Sehhilfen. Auf Grund der zahlenmäßig beschränkten Anzahl von Augenoptikern gab es wenig Konkurrenz, immer viele Kunden, auch Schlangestehen. Das kollegiale Verhältnis untereinander und das Verhältnis zu den Augenärzten waren sehr gut.
Da es häufige Beschwerden der Bevölkerung bei den Krankenkassen über eine zu geringe Kapazität an Augenoptikern gab, dürfte die Zukunft privatgeführter Augenbetriebe von den Bezirksleitungen bis hoch in das Zentralkomitee der SED stets umstritten gewesen sein. [6] So waren 1971/72 in einigen Bezirken Geschäftsübernahmen völlig untersagt, wurden 1986 aber wieder gefördert.
Richtig ist, dass es ausgehend vom DDR-Ministerrat 1972 eine große Welle zur vollständigen Liquidierung des Mittelstandes gab. [5] Im Zuge dieser Maßnahmen sollten auch die kleinen privaten Augenoptiker in die Knie gezwungen werden. Mittel dazu sollte eine Industriepreiserhöhung bei gleichzeitig sinkenden Verkaufspreisen sein.
Dahingehende Gespräche wurden vom DDR-Finanzministerium mit dem in Preisfragen sehr kompetenten Obermeister Dresdens Dr. Heinrich Pestel geführt. Er wehrte sich erfolgreich gegen hinzugezogene SED-Hardliner der optischen Industrie, die ständig davon redeten, dass „Private“ zu viel verdienen würden.
Die Belieferung war völlig desolat, die Bestellung von Lager- und Rezept-Brillengläsern sehr aufwändig, die Zulieferung unzuverlässig und schleppend, Wartezeiten von einem halben Jahr nicht selten. Es konnte passieren, dass man 200 Einstärkengläser auf einmal bekam, die bei anderen Kollegen seit Monaten fehlten.
Die privatgeführte Augenoptik überlebte durch ihre hohe Flexibilität. Sie konnte Nachteile schleppender Brillengläser- und Fassungslieferungen mit Reparaturen, zum Teil aber auch privat zu zahlenden Dienstleistungen wie dem Umbau von Metall und Formstoff-Fassungen in randlose Brillen, der Lackierung von Metallfassungen, wunschgemäßen Formänderungen und ähnlichen Aktivitäten auffangen.
Brillengläser und Fassungen wurden zum gegenseitigen Vorteil getauscht, Tauschbücher angelegt. Ein reger Dialog zum Umbau und zur Überholung von Geräten tat ein Übriges. Dieser gute Zusammenhalt der Berufsgruppe und das entsprechende Improvisationstalent waren der eigentliche Schlüssel, dass es überhaupt weiterging.
Private Augenoptiker blieben die tragende Säule zur Sehhilfen- Versorgung der DDR-Bevölkerung. Zu den Mitarbeitern staatlicher Augenoptikerbetriebe, mit denen man durch gemeinsame Studienzeit, Fachtagungen, Arbeitskreise und Mitwirkung in Prüfungskommissionen viele Gemeinsamkeiten hatte, gab es bis auf ganz wenige Ausnahmen stets gute Kontakte.
Politisch blieben private Augenoptiker weitgehend unbehelligt. Die Erlaubnis zur Selbstständigkeit wurde bezirksweise unterschiedlich gehandhabt, teilweise auch mit dem Beitritt in eine der Blockparteien, dass hieß Christlich Demokratische Partei Deutschlands (OST) oder Nationaldemokratische Partei Deutschlands (OST), verknüpft.
Rückblickend betrachtet erwies sich inner- und außerbetriebliche Zurückhaltung in Bezug auf gewagte regimekritische Äußerungen bis zur politischen Wende als ratsam. Nur im Beisein von ,die man lange und gut kannte, und im nahen Freundeskreis konnte man von dieser Regel abweichen. Sicher war man indes nie. Kollegen, die in den späten 80er-Jahren Ausreiseantragsteller beschäftigten, wurden von der Staatssicherheit massiv mit Forderungen zur untergeordneten Beschäftigung oder Entlassung dieser Mitarbeiter unter Druck gesetzt oder auch selbst vermehrt bespitzelt.
Im Zuge der Wende war es vielen Augenoptikern in den Neuen Bundesländern möglich, sich mit günstigen ERP-Krediten (European Recovery Program) selbstständig zu machen, bzw. den vorhandenen Betrieb hinsichtlich der Untersuchungsgeräte vor allem aber werkstattseitig zu modernisieren und damit wesentlich rationeller zu gestalten.
Aufwendige Gläser-Bestellungen, wie das handschriftliche Ausfüllen von sage und schreibe bis zu 20 Kennziffern für die Bestellung von nur einem Brillenglas beim einstigen und einzigen Hersteller hatten glücklicherweise ein Ende.
Die Beschränkung des Refraktionsrechts für Augenoptiker gegenüber den Ophthalmologen, wie auch aggressive Werbung erwiesen sich vor allem hinsichtlich der Außendarstellung des Berufs leider als Nachteil. Das einst so hohe berufliche Ansehen, das sich nur wenig vom Ophthalmologen unterschied, sank deutlich. Von vielen heute oft schon älteren Betriebsinhabern wird vorrangig das heutige Fehlen des in DDR so guten Zusammenhalts innerhalb der Berufsgruppe beklagt.
Für ihre hilfreichen Auskünfte habe ich meinen Studienkollegen Siegfried Kossack, Calau/Lausitz und Roland Boddien, Ludwigslust, Bernd Ziesche, Coswig/Dresden sowie der Tochter Dr. Pestels, Gabriele Göhler in Dresden zu danken.
Klaus Nowak
Literatur
[1] Die Geschichte des Handwerks
[2] Homepage der Firma Scharnberg
[3] Gorski P. W., Löhr H.G. Verstaatlichung von Apotheken in der
Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen .
[5] Chronik der Mauer, Überblick über das Jahr 1972 Bundeszentrale für politische Bildung, Zentrum für zeitgemäße Bildung, Potsdam.
[6] Curtius A. Das Schicksal der Wirtschaftsreform der 60er Jahre in der DDR- oder: Die „eingebaute Selbstzerstörung“ des Systems
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