Startseite » News » Betrieb »

Erlebte „Falso-Keratologie“

Augenoptischer Alltag
Erlebte „Falso-Keratologie“

Benjamin Walther und Ursula Tappel führen ein augenoptisches Fachgeschäft im ostfriesischen Leer und berichten exklusiv im Magazin „DER AUGENOPTIKER“ über eine erlebte „Falso-Keratologie“.

Wir möchten Ihnen als Augenoptiker zwei Kunden vorstellen, die mit ähnlichen Erscheinungen zu uns kamen – der erste ein Presbyop, der zweite noch zu jung für Presbyopie.

Ein ruhiger, zuerst leicht skeptisch wirkender Neukunde erschien zum vereinbarten Termin am 16.3.2006. Obwohl er erst am Vortag beim Augenarzt gewesen war und dessen Verschreibung auch mitbrachte, war er bereit, eine von UNS durchgeführte Augenglasbestimmung vornehmen zu lassen. („Man hat Sie mir ja empfohlen – weil Sie es wohl gründlicher machen“)
Wie immer bei „Neu-Kunden“ machten wir uns zuerst ein Bild von seiner bisherigen augenoptischen Versorgung: Er trug eine Gleitsichtbrille in einem Mittenabstand von 71,3 mm:
–8,5 +1,5 91 Add 1,25 und
–8 +1,5 81 Add 1,25.
Diese Werte stammten noch aus dem Jahr 2001. Seit zwei Tagen trug er jetzt seine alte Brille anstatt der sonst seit Jahren getragenen festen Kontaktlinsen, die er mit Lesebrille kombiniert benutzt hatte. Meiner Erinnerung nach nahm wohl sein Sehkomfort mit der Kombination „Kontaktlinsen-Lesebrille“ zusehends ab, weshalb er wieder „eine normale Gleitsichtbrille“ wollte.
Die vorgelegte Augenarzt-Verschreibung lautete:
–6,75 +0,75 120 Add 2,25
und –6,25 +1,25 70 Add 2,25
Als ich dann in meinem KundenVerWalther-Programm die Daten eingab, fing ich schon an zu stutzen: Abb.1
Es schien mir höchst unwahrscheinlich, dass innerhalb von fünf Jahren ein solch drastischer Myopie-Rückgang möglich wäre; inklusive starker Astigmatismus-änderung RA, – es musste etwas anderes dahinter stecken als eine „normale Stärkenänderung im Laufe von fünf Jahren“.
Wir machten weiter in unserer bewährten „70-Punkte-Augenglasbestimmung“ (www.Augenglasbestimmung.de) und ermittelten den Visus
cc R: 1,0 und cc L: 1,0.
Diesen Visus erreichte er nur mit auffälliger Kopfhaltung: Kinn stark nach oben gezogen, Durchblickpunkte viel mehr im „Nahbereich“ seiner alten Gleitsichtgläser als im Zwischenbereich – vom Fernbereich ganz zu schweigen. Auf mein Hinterfragen bestätigte er, dass er mit „Kinn-Hoch-Kopfhaltung“ schon noch zurecht käme, und beim Lesen dann halt die Brille abnähme.
Amsler-Test zeigte keine Auffälligkeiten, Tränenfilm war ok, Hornhaut war transparent, Kammerwinkel unauffällig, Linsen waren transparent, keine Glaskörpertrübungen zu sehen, die Papillen machten einen regelgerechten Eindruck, die retinale Durchblutung sah gut aus, beidseits mittige Fixation mit seinen foveae, die Ophthalmometer-Werte machten dann weiterhin unruhig:
R: 808 vertikal und 813 horizontal, L: 806 und 813.
Sollte also eine stärkere Linsenastigmatismus-Veränderung vorliegen? Doch wodurch begründet? Katarakt-Erscheinungen waren weder mit Spaltlampe, noch mit Ophthalmoskop noch gleich darauf folgend mit Skiaskop zu beobachten – was war also die Begründung für diese stark differierenden Augenarzt-Verschreibungs-Werte?
Die Opthalmometer-Marken-Reflexe waren nicht sehr deutlich, – lidschlagabhängige Verbiegungen deuteten sich an, ich entschied mich, beidseits Keratograph-Aufnahmen durchzuführen. Die Skiaskopier-Werte lagen bei Über-Skia über seine Brille R bei plan, und L bei Zyl 1 dpt in ca. 60˚. Der Pupillen-Reflex-Test wies keine Auffälligkeiten auf, er empfand sich selbst auch nicht als lichtempfindlich. Cover/Uncover ergaben eine Eso-Tendenz mit schwacher Höhe; der Motilitätstest zeigte keine Auffälligkeit, und der nearpoint-breakup-Test war vom Ergebnis her ebenfalls ok.
Der Oculus-Keratograph schließlich brachte die Erklärung: Abb.2
Als ich dann DAS sah, führte ich dem Kunden natürlich auch gleich die 3-D-Darstellung vor. Abb. 2.1
Was zeigte mir diese Grafik? Die klassische „Verformung“ einer Hornhaut durch jahrelanges Tragen einer „Hochsitz-festen-KL bei Myopie“.
Wir waren natürlich jetzt beide auf das LA gespannt: Es kam noch „heftiger“! Abb. 3
Die Detail-Aufnahme machte es dann noch deutlicher: Abb. 3.1
Nun war klar, wieso es zu den heftigen Abweichungen zwischen Augenarzt-Verschreibung und bisher getragener Brille gekommen war.
Wir führten eine Augenglasbestimmung durch und ermittelten:
–7 +0,5 113 Add 2 Visus 1,27 und –6 +1 60 Add 2 Visus 1,25.
Diese Werte fanden wir also, erst ca. 20 Stunden später als der Augenarzt.
Die per MKH ermittelten 2 cm/m Basis außen und 0,25 cm/m Basis oben R kompensierte der Kunde „locker“ bei Herausnahme und Befragung auf Optotypen nach „anstrengenderem oder mühsamerem“ Sehen.
Der Kunde erhielt die Keratograph-Aufnahmen ausgedruckt zum Mitnehmen (wer konnte schon vorhersagen, wem er davon alles erzählen würde?) und am ersten Folge-Termin (eine Woche später) sahen die corneae dann schon so aus: Abb.4, Abb. 4.1, Abb. 5, Abb. 5.1
Wir führten erneut eine Augenglasbestimmung durch und ermittelten diesmal schon:
–8,5 +1,5 93 Add 2,25 Visus schon 1,54! und
L –7 +1,5 74 Add 2,25 bei Visus 1,25.
Der Kunde war bereits begeistert. Wiederum eine Woche später sah es dann schon so aus: Abb. 6, Abb. 6.1
Es zeigte sich also eine „Beulen-Abnahme“ im unteren Bereich der cornea R, und eine „Angleichung der Ausbeulung“ der oberen cornea-Hälfte – wobei wir uns der Fehler durch Interpolierung (wegen der Wimpern!) durchaus bewusst sind.
Links sah es zu dem Zeitpunkt schon ähnlich aus:
Abb. 7, Abb. 7.1
Die dritte Augenglasbestimmung ergab dann nur noch schwache Differenzen, erfreulich war der weitere Visus-Anstieg R:
–8,5 +1,5 93 Add 2,25
Visus 1,58 und
L: –7 +1,5 77 Add 2,25
Visus 1,25.
Wir entschieden uns, die Brillengläser anfertigen zu lassen und sahen einen frohen Kunden.
Hinweis für die Fassungsauswahl: Große PD, wegen der Myopie-Werte war nach außen hin nicht so viel Glasmaterial nötig, nach unten wegen der Konvergenzbewegungen genügend Fassungsspielraum für die Nahteile vorhanden. So wurde eine nach außen hin schön „schmale“ Verglasung möglich. Der Gesichtsbreite wurden die breiten Bügelansätze gerecht.
Acht Monate später hatte seine Ehefrau einen Termin für Augenglasbestimmung, und so baten wir den „Falso-Keratologie-Kunden“ um zwei abschließende Keratograph-Aufnahmen: Abb. 8, Abb. 8.1, Abb. 9, Abb. 9.1
Die Aufmerksamkeit (und gesundes Misstrauen) gegenüber der Augenarzt-Verschreibung sowie die glücklicherweise vorhandene Keratograph-Ausstattung bewahrte den Kunden (und uns) vor einer fatalen Gleitsicht-Katastrophe: Wir benutzen seit vielen Jahren erfolgreich die Carl-Zeiss-Nahleseproben, und haben, zum besseren Verständnis für den Endverbraucher, deren Grafik noch detaillierter dargestellt. Abb. 10
Die Botschaft ist klar verständlich („ein Bild sagt mehr als tausend Worte“): „Je früher Du anfängst mit Gleitsicht, desto schneller bist Du glücklich damit!“
Unsere zweite Serie „Gleitsicht-Ergänzungs-Grafiken“ zeigt, wie stark vermindernd (um nicht „verheerend“ zu sagen!) sich Refraktionsdefizite auf die nutzbaren „klaren“ Gleitsichtbereiche auswirken. Abb. 10.1
Als Beispiel diene die zweite Grafik: Wenn dem verschriebenen Gleitsichtglas in seiner bestellten optischen Wirkung eine zylindrische Wirkung von 0,5 dpt in 45 Grad fehlt (das kann bei einem sphärischen Glas der Fall sein, aber auch bei einem zylindrisch wirkenden Gleitsichtglas mit verkehrter Zylinder-Stärke und verkehrter Achse!), reduziert sich der nutzbare Bereich der Gleitsicht im (blauen) Fernbereich auf einen kleinen „Streifen“ seitlich der eigentlich richtig zentrierten „Mitte“; der „Progressionskanal“ verschiebt sich seitlich, und auch der Nahbereich des Gleitsichtglases scheint verschoben zu sitzen.
Der Kunde beklagt dieselben Erscheinungen wie bei einem fehlzentrierten Brillenglas – und wenn Sie dann „nur“ die Zentrierung überprüfen und für richtig befinden, haben Sie das eigentliche Problem noch überhaupt nicht erkannt.
Wenn Sie vor diesem Hintergrund die verschiedenen Refraktionsstärken sehen, dann wird klar, warum ich als Gleitsicht-anpassender Augenoptiker über die Geduld des Kunden sehr froh war (Abb. 11). Er hätte sonst eine unerträglich refraktionsdefizitär beladene Gleitsicht gehabt, die ihn jedenfalls nicht dazu motiviert hätte, seine Ehefrau für eine Gleitsicht-Erst-Versorgung zu uns zu empfehlen.
In der nächsten Veröffentlichung soll es an dieser Stelle zum gleichen Thema eine Fortsetzung geben: Glücklicherweise kam ja dieser Kunde mit „seiner alten Brille“ so lange zurecht, bis wir die Neuanfertigung abliefern konnten – immerhin fünf Wochen Überbrückungszeitraum! Doch was musste angepasst werden, was musste getan werden bei einem Noch-Nicht-Presbyopen, der Ähnliches erleben musste, ohne eine passende Brille zu besitzen?
Aktuelles Heft


ao-info-Service

Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der ao-info-Service? Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:













Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum ao-info-Service freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des ao-info-Service.
AGB
datenschutz-online@konradin.de