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Anders als andere

Gouverneur A., Morez
Anders als andere

Weil man Fremdsprachen am besten im jeweiligen Land lernt, ging der 23-jährige Gustave Heimbucher aus Nürnberg nach Genf. Er, der sich als absolute Null im Erlernen von Fremdsprachen bezeichnete, wollte es mit der französischen Sprache versuchen. Nach Genf ging er, weil dort besser gezahlt wurde als in Frankreich.

Dieser Aufenthalt in Genf dauerte immerhin 28 Jahre. Er wäre vermutlich immer noch dort, hätte er nicht eines Tages Françoise kennengelernt. Françoise Morel-Mottet, eine Französin aus Morez, Lehrerin in Geografie und Geschichte, hat ihre eigene Geschichte.

Über Clement Gouverneur, Urgroßvater der jungen Frau, wird vermutet, dass er 1872 in Morez eine Firma gründete, die Brillen herstellte. Das Gebiet um Morez war im Winter ein unzugängliches Schneegebiet, so dass die dort lebenden Bauern sich eine Heimarbeit für die Winterzeit suchen mußten. In der Gegend gab es Eisenerz. Das Vorkommen war klein, aber für die Herstellung einer Brille brauchte man nicht viel. Den ersten Nachweis einer Brillenfertigung kann die Stadt heute um 1796 nachweisen. Die Fertigung belief sich damals auf ca. 20 Brillen pro Jahr, da es ja nur eine zusätzliche Arbeit im Winter war und den Broterwerb nicht allein sichern musste.
Urgroßvater Gouverneur fertigte anfangs Imperial- und Imperator-Bügel, gedrehte Bügel aus vielen dünnen Drähten, die dann voll um das Ohr herumgingen. 1878 baute er das heute noch in der Familie befindliche Haus, in dem gewohnt und produziert wurde. „Wenn man bedenkt, dass es damals noch keine Banken gab, die das erforderliche Geld vorschießen konnten, muß er schon viel Geld verdient haben, ein für die damalige Zeit so großes Haus bauen zu können,“ erzählt der heutige Nachfolger in Familie und Fabrik.
In Frankreich erbten damals nur die Söhne, unverheiratete ältere Schwestern wurden ‘weggesperrt’. Noch heute existiert in der Fabrik eine funktionsfähige cirka 140 Jahre alte Maschine, die sogenannte ‘Demoiselle’ (Fräulein); so genannt, weil diese Maschine – genau wie die sie bedienenden Fräuleins – ‘weggesperrt’ wurden. In beiden Fällen sollten sie nicht von Unbefugten gesehen werden.
Inzwischen erbten auch Mädchen, wenn kein Junge vorzuweisen war. Der Name der Besitzerfamilie änderte sich. Nachfolgerin in der vierten Generation wurde Françoise Morel-Mottet, die junge Lehrerin, die eigentlich keinerlei Ambitionen hatte, eine Brillenfertigung zu leiten. Aber wie das so ist im Leben: Nachdem ihr Vater verhältnismäßig jung gestorben war, nahm ihr der Großvater das Versprechen ab, die Firma weiterzuführen. Françoise hängte einige Semester an ihr Studium an und wurde fit in Business Administration. Sie führte die Firma weiter und leitet sie auch heute noch. Inzwischen kam Gustave Heimbucher ins Spiel. „Ich bin dann zu ihr nach Morez gegangen. Wir konnten ja die Fabrik nicht einfach versetzen,“ lacht er, der heute für den kaufmännischen und administrativen Teil zuständig ist. Seine Frau kümmert sich um die Produktion. „Sie ist ja schließlich darin aufgewachsen. In dieser Branche gibt es sehr wenige Frauen in der Herstellung. Deshalb sind unsere Brillen vielleicht ein wenig anders als die der Mitbewerber. Eine Frau sieht die Dinge doch anders als ein Mann. Sie sieht auch die Farben anders,“ meint Gustave Heimbucher. Inzwischen werden sie unterstützt durch den Koreaner Sun-Il. Der gelernte Optiker kam vor vier Jahren nach Frankreich, lebt heute mit Frau und Sohn dort und fühlt sich ausgesprochen wohl. Er hat sich zum Fachmann für Laser und Titan entwickelt und beteiligt sich am Design für besondere Fassungen.
Zehn Mitarbeiter hat die kleine Fertigung in Morez, die in diesem Jahr immerhin ihr 125jähriges Bestehen feiern kann. „Wir wollen das Wissen, das wir über diese langen Jahre erworben haben, nicht verloren gehen lassen,“ erklärt Gustave Heimbucher. „Wir machen noch heute – was vielleicht viele als simplen und einfachen Bügel aus Bronze bezeichnen – von A bis Z selbst in der Firma. Es gibt keine Massenfertigung, aber das ist ja auch ein Vorteil für den Käufer. Wir halten uns exclusiv. Unsere Maschinen sind teilweise älter als 100 Jahre, aber sie wurden ja für die Ewigkeit gebaut und sie funktionieren ohne Probleme. Für eine Metallbrille brauchen Sie zwischen 120 und 220 Arbeitsgänge, daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Durch wirtschaftliche Gründe versuchen viele heute zu rationalisieren und zu automatisieren. Dabei vergisst man oft ein Wissen, das man sich in 100 bis 150 Jahren angeeignet hat. Wir produzieren noch nach alten Techniken und haben so gut wie keine Reklamationen.“
Die Technik der Firma Gouverneur mag nach alten Formen funktionieren, das Design nicht. Die Fassungen kommen jung und flott daher, die Firma stellt auf Messen in New York, Mailand und selbstverständlich Paris aus. Im nächsten Jahr hofft man auf einen Platz in München, so dass auch die deutschen Augenoptiker feststellen können, ob diese Firma anders ist als andere.
Ulla Schmidt
Fotos: Gouverneur A.
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